Der Direktor, der plötzlich "zur Besinnung" kam

Hanspeter Wolfsberger

Grosses Erstaunen, als Hanspeter Wolfsberger vor zwei Jahren als Direktor der Liebenzeller Mission zurücktrat. Seit einigen Monaten ist der 55-Jährige wieder Gemeindepfarrer und Leiter eines "Hauses der Besinnung". Und der Power ist zurück.

Es war ein grauer und trüber Dezembertag, als ich Pfarrer Hanspeter Wolfsberger an seinem neuen Dienstort in Betberg/Seefelden besuchte. In der Stille des Markgräflerlandes, 40 Kilometer nördlich von Basel, geht für ihn ein Wunsch in Erfüllung, den er seit seiner Vikariatszeit hat. Schon damals spürte er, dass es eigentlich zu kurz greift, wenn man Menschen nur "anpredigt". Man sollte sie begleiten können. "Damals träumte ich noch von einem Bauernhof, mit einer Krankenschwester, einem Arzt, einigen kräftigen Leuten, die die Kuh beim Melken hoch und runter bewegen... und wo ich mit Menschen Schritte des Glaubens und des gesunden Lebens gehen könnte. Doch niemand hatte einen Bauernhof für mich - was zumindest für die Kühe auch besser war..."

Ohne Krawatte
So wurde Hanspeter Wolfsberger Gemeindepfarrer in Staufen. Im Lauf der Jahre wurde er wegen seiner Predigten im Lande bekannt. So wurde auch die Liebenzeller Mission auf ihn aufmerksam. 1992 nahm der neunfache Familienvater Wolfsberger eine Berufung an und wurde Leiter des Werkes. In den ersten Wochen als Direktor ging er noch mit Anzug und Krawatte zu den Andachten - "die Feierabendschwestern liebten das so". Doch er hielt das nicht lange durch. "Ich merkte, das war nicht ich." Und auch andere Veränderungen stellten sich ein. Theologisch war ihm eine biblisch-reformatorische Ausrichtung wichtig, ein Umgang mit dem gebenden und versöhnenden Gott. Wenn es schon einen Gott gibt, dessen "Güte reicht so weit der Himmel ist" - dann sollten Menschen sich auch darin einfinden und aufleben können. Er wurde von manchen nicht verstanden. Einer sagte: "Was der Wolfsberger nur immer mit seiner Gnade hat!"

Innere Entwicklung
Die Aufgabe, in ein so grosses Werk einzusteigen und Veränderungen anzubahnen, war anstrengend. Das Leben mit den Widerständen auch. Nach zwei Jahren wurde Hanspeter Wolfsberger ernstlich krank. Ein Gerücht ging durch das Land: "Jetzt haben sie ihn kaputt gemacht." Aber die Krankheitszeit brachte ihm auch eine innere Weiterentwicklung. Noch mehr als vorher lernte er sich sehen als einer, der "geborgener ist, als ich weiss, geliebter, als ich denken kann". Mit der daraus folgenden Ausstrahlung hat Wolfsberger den Missionsberg in den folgenden Jahren geprägt.

Und die Kinder?
Nach elf Jahren als Direktor wollte er seinen Weg erneut bedenken. "Einmal Direktor, immer Direktor" - das wollte ihm nicht einleuchten. "Wieso eigentlich? Ich wollte nicht so lange in meinem Amt bleiben, bis ich es selber nicht mehr lassen will. Nach elf Jahren hat ein Werk ein Recht darauf, noch mal neu und anders zu denken. Ich spürte: Das Leben ist kurz, und ich möchte beizeiten wieder üben, nicht mehr im Rampenlicht zu stehen." Hinzu kam das leise Erinnern seiner Frau Bärbel: "Wenn du jetzt noch etwas vom Heranwachsen unserer jüngeren Kinder miterleben willst, wäre es gut, wenn wir noch einmal die Stelle wechseln." Wolfsberger: "So etwas hatte meine Frau in den Jahren vorher nie gesagt. Sie hat mir immer geholfen, mit gutem Gewissen und freiem Rücken meinen Dienst zu tun. Umso ernster wollte ich nehmen, wenn sie nun solche Andeutungen macht."

Grosse Hoffnung
Das "Haus der Besinnung" und die halbe Pfarrstelle in der örtlichen Kirchengemeinde sind für ihn eine grosse Hoffnung. Sein jetziger Platz ist Programm: Betberg. Die Kirche, in der er predigt, wurde vor 1200 Jahren von iroschottischen Mönchen als Gebetsplatz gegründet. Dieses Ensemble von Kirche und kleinem Gästehaus ermöglicht es Menschen, für einige Tage zu kommen, um sich in der Stille, mit Hilfe geistlicher Impulse oder in seelsorgerlichen Gesprächen neu Gott hinzuhalten. Daneben steht die Gemeindearbeit, die für Hanspeter Wolfsberger viel Schönes hat: "Der Nahkontakt mit liebenswerten Menschen, die Teilhabe am ganz nüchternen Alltag."
Das "Haus der Besinnung" kann, findet Wolfsberger, auch eine Anlauf- und Tankstelle für Hauptamtliche sein. Hier soll ihnen eine Tür zur Einkehr bei Gott offen stehen, zur neuen inneren Ausrichtung, auch zum persönlichen Abladen. "Von meinen Berufskollegen wird viel verlangt. Weil Gott so gut zu mir war, fühle ich mich willig, auch für sie da zu sein."

Noch gerne Prediger?
Mein Blick geht aus dem Fenster hinaus über die in winterlicher Stille stehenden Markgräfler Reben. Die Ehrlichkeit und Offenheit, mit der Hanspeter Wolfsberger erzählt, rührt mich an. Gleich zu Beginn unserer Begegnung fragt er nach, ob ich (noch) gerne Prediger bin. Ich fühle mich ernst genommen. Lange reden wir über das Prediger oder Pfarrer sein in der heutigen Zeit. "Der Beruf ist richtig schwer geworden", meint Hanspeter Wolfsberger. Einem Menschen, der jahrelang Direktor eines grossen christlichen Werkes war, nimmt man so einen Satz ab. Er kennt sich aus "mit den vielen Erwartungen von Menschen, der Entertainment-Gesellschaft, mit der ein Prediger nur schwer konkurrieren kann, auch mit der Arbeit, die nie fertig ist. Schwer wird es auch, wenn einer im Lauf der Jahre merkt: Meine Begabungen reichen einfach nicht aus - oder wenn man spürt: Die Familie hat einen Knacks abgekriegt."
Umso dringender sei es für Hauptamtliche, sich spirituell befähigen zu lassen, meint Wolfsberger, auch damit sie "ein inneres Fünkchen bewahren". Eine geerdete, menschenfreundliche christliche Spiritualität ist die Kernkompetenz, die in unserer Gesellschaft von Hauptamtlichen erwartet werde.

Gebet und Stille
Was ihm denn selber geistlichen Power gibt, ist meine nächste Frage an Hanspeter Wolfsberger (und dabei habe ich das Monatsthema dieses Heftes im Hinterkopf). "Zunächst fühle ich mich an vielen Tagen so, als hätte ich gar keinen Power", ist die ehrliche Antwort. "Ich kenne Zeiten, in denen ich einfach nur müde bin von den Anforderungen, von den vielen Bedürfnissen der Menschen." Doch dann trägt ihn der Rhythmus seines täglichen Lebens: Die dreimalige Gebetszeit am Tag, die Stille der Kirche, das Gehen unter Gottes Himmel und auf der "Erde, die ihm gehört".

Die Chance des Betbergs
Als ich mit meinem Sharan aus der Stille des Weilers Betberg in die belebte Rheinebene hinunterrolle, bin ich mir fast sicher, dass dies nicht mein letzter Besuch in Betberg war. Vor zwei Jahren konnte ich noch nicht recht verstehen, warum einer wie Hanspeter Wolfsberger den Direktorensessel bei der Liebenzeller Mission räumt. Heute habe ich geahnt, dass darin für ihn und für viele Menschen eine grosse Chance liegt.

Datum: 24.04.2004
Autor: Uli Limpf
Quelle: Chrischona Magazin

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