Dramatische Bilder

Freikirchen distanzieren sich vom Exorzismus-Vorwurf von SF1

Das Schweizer Fernsehen zeigte am 11. Januar in der Sendung «Rundschau» einen viertelstündigen Beitrag über Exorzismus in charismatischen Gruppierungen. Die teilweise dramatischen Bilder würden ein falsches Bild auf Freikirchen werfen, sagen deren Vertreter.
Rundschau 2006
Daniel Hari
Wilf Gasser
Max Schläpfer

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530’000 Fernsehzuschauer sahen den Beitrag «Gefahr Exorzismus» auf SF1. «Tausende Menschen in der Schweiz fühlen sich von Dämonen bedroht und wenden sich an freikirchliche Prediger», lautet die Zusammenfassung auf dem Internet. Der Redaktor Christof Franzen zeigt zu Beginn einen Heilungsgottesdienst des freischaffenden Pfarrers Daniel Hari, der für anwesende Freiwillige um Heilung betet. Laut Hari handelte es sich hierbei um einen Anlass am Rande der Esoterikmesse St. Gallen.

Zweifelhafte Ergänzung

Der TV-Bericht folgt dann Andreas Häberli, der Schulungen für Exorzismus und Heilung anbietet. Ein Amateurvideo, das den Exorzismus an einer älteren Schweizerin zeigt, wird eingeblendet und vor laufender Kamera dem reformierten Sektenexperten Georg Otto Schmid vorgeführt. Er und Joachim Müller von der katholischen Informationsstelle verurteilen die Praktiken scharf.

Beim Exorzismus setzt ein amerikanischer Pastor auch ein Mädchen ein. Die betroffene Frau sagt, seit der Austreibung habe sie Freiheit, eine Liebe zu anderen Menschen und sei wie eine neue Kreatur. Ein weiteres Portrait zeigt einen aus charismatischen Freikirchen ausgestiegenen Mann. Etwas zweifelhaft ergänzt wird der Beitrag mit schwarz-weissen Aufnahmen eines katholischen Exorzismus (mit einem sich windenden «Besessenen») und einem Amateurvideo aus Deutschland, auf welchem Charismatiker in Ekstase Töne von sich geben.

Falsche Experten?

«Ich war schockiert und von Christof Franzen total enttäuscht», sagt Daniel Hari. Dieser habe ihm eine sachliche, ausgeglichene Berichterstattung zugesichert. Hari kritisiert weiter, dass das Interview, in dem er Franzen auf kritische Fragen differenziert geantwortet habe, im ausgestrahlten Beitrag nicht vorkam.

Ausserdem versteht er nicht, warum als Experten nur die beiden Landeskirchler beigezogen worden seien, da doch beide das Thematisierte gar nicht praktizierten. Zu den Auswirkungen der Sendung meint er: «Wir müssen uns eine Imagekampagne für die Freikirchen einerseits und für den Befreiungsdienst andererseits überlegen.»

Nur in der Seelsorge

Wilf Gasser, Leitungsmitglied der Vineyard Bern, arbeitete früher als Psychiater. «Nach dem ersten Schock war ich nur froh, dass ich selber da nicht auch noch zu sehen bin.» Franzen habe zahlreiche Male mit ihm Kontakt aufgenommen. Dreharbeiten in seiner Gemeinde lehnte Gasser aber kategorisch ab. «Ja, auch bei uns kommt Befreiungsdienst vor, aber wenn, dann in seelsorgerlichem Rahmen und ganz unspektakulär», habe Gasser gegenüber dem TV-Redaktor erklärt.

Gasser sagte, ein Kind «für die Lossprache zu instrumentalisieren» finde er völlig daneben, genauso manipulative Elemente. «Ich würde Befreiungsdienst aufgrund negativer Erfahrungen nicht mehr öffentlich im Gottesdienst machen.» Daniel Hari ist da anderer Ansicht: «Befreiungsdienst darf öffentlich gemacht werden, denn auch Jesus hat das gemacht.»

Fair oder unfair?

«Journalistisch fair gemacht» fand Hanspeter Hugentobler den «Rundschau»-Beitrag, die Praktiken jedoch bedenklich. «Immer wieder haben wir es in unserer Lebensberatungsstelle mit Menschen zu tun, die bei unzähligen Heilern Enttäuschung erlebten.» Der Geschäftsführer des Medienunternehmens ERF hat seine Redaktionen angewiesen, in nächster Zukunft keine Beiträge mit ähnlichen Inhalten oder Gruppierungen zu machen.

Enttäuscht äusserte sich Max Schläpfer, Präsident des Verbandes der Freikirchen und Gemeinden der Schweiz (VFG). «Enttäuscht deshalb, weil der Eindruck entsteht, dass alle Freikirchen, oder mindestens alle charismatischen Freikirchen, den Befreiungsdienst so praktizieren, wie er in der Sendung dargestellt wurde.»

«Unverständlich»

Schläpfer findet es «unverständlich», weshalb lediglich Experten der katholischen und reformierten Landeskirche «ein Urteil zugetraut wurde». Dies bedauert auch der Pressesprecher der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), Fritz Herrli. «Allerdings wäre etwas anderes von den Medienschaffenden auch zuviel verlangt, da weder wir noch der VFG eine ähnliche Informationsstelle wie die Landeskirchen betreiben.» Die Idee sei aber seit Jahren vorhanden.

Christof Franzen war bis Redaktionsschluss unerreichbar. Dölf Duttweiler, stellvertretender Redaktionsleiter der «Rundschau», widerspricht dem Vorwurf, alle Freikirchen in denselben Topf zu werfen. «Heute, wo sich die Freikirchen etabliert haben, glaube ich nicht, dass das breite Publikum auf diese Idee kommt.» Duttweiler findet auch nicht, dass eine weitere Expertenmeinung aus freikirchlichen Kreisen nötig gewesen wäre. Reaktionen bekam die «Rundschau»-Redaktion bloss «eine Hand voll» – positive wie negative.

* * *

Kommentar: Sensation oder Aufklärung?

Dass es heute noch – in unserer so aufgeklärten Zeit – richtige Exorzisten gibt, die Teufel und Dämonen austreiben sollen, kann journalistisch attraktiv sein. Die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens hat letzte Woche nach längeren Recherchen mit dem «freischaffenden Pfarrer» Daniel Hari und Andreas Häberli zwei Schweizer «Exorzisten» gefunden. Sie ordnet sie «charismatischen freikirchlichen Gruppen» und «charismatischen Freikirchen» zu. Mit ihnen hat sie Aufnahmen für eine Reportage gemacht, ergänzt durch ein Beispiel aus Deutschland.

Die Sendung muss aus verschiedenen Gründen kritisch beurteilt werden. Sie bringt reihenweise Menschen in Grossaufnahme und lässt Einzelne zeugnishaft zu Wort kommen, ohne dass diese wohl ahnen, in welches problematische Umfeld sie durch die Sendung gestellt werden. Hat das Fernsehen hier die Persönlichkeitsrechte wirklich beachtet?

Immer wieder bringt die Sendung die «exorzistischen» Praktiken in den Zusammenhang mit freikirchlichem Leben, indem sie von «freikirchlichen Gruppen» oder «charismatischen Freikirchen» spricht. Die gezeigten Aufnahmen standen aber in keinem Zusammenhang zu einer Freikirche.

Die «Rundschau» liess die gezeigten Rituale von landeskirchlichen Experten kritisieren, wollte aber keinem Fachmann oder Vertreter aus dem freikirchlichen Raum oder dem Freikirchenverband Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben. Die Redaktion wimmelte einen diesbezüglichen Einwand, den Freikirchen-Präsident Max Schläpfer nach der Sendung vorbrachte, ab.

Die «Rundschau» beteuerte zwar, dass es ihr nicht darum gegangen sei, die Freikirchen in ein schlechtes Licht zu stellen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass gerade in landeskirchlichen Kreisen nach wie vor viele Ängste und Vorurteile gegenüber Freikirchen bestehen, die dann genährt werden, wenn mit dem Klischee «freikirchlich» operiert wird.

Soweit der «Befreiungsdienst» in charismatischen Gruppierungen oder in Freikirchen tatsächlich angewandt wird, müssen die Akteure zur Kenntnis nehmen, dass er tendenziell von Medien und auch landeskirchlichen Experten zum Skandalwert gehandelt wird. Der Religionswissenschafter Georg Otto Schmid nannte ihn in der Sendung «überflüssig und gefährlich». Der katholische Sektenbeauftragte Joachim Müller forderte gar ein Verbot. In diesen Distanzierungen machen sich noch Reste des überholten modernen Weltbildes bemerkbar, aber auch die Befürchtung vor Scharlatanerie.

Wenn «Befreiungsdienst» praktiziert wird, ist Zurückhaltung, Sorgfalt und Kompetenz gefordert. Zum Beispiel die sorgfältige Abklärung, ob sich die Probleme nicht anders behandeln lassen. Dies jedenfalls hat diese Sendung mit Nachdruck deutlich gemacht.

Autor: Silvio Krauss
Kommentar: Fritz Imhof

Datum: 21.01.2006
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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