Herzchirurg Thierry Carrel

«Hightech ist auf High Care angewiesen»

«Es gehört zu den grössten Herausforderungen in der modernen Medizin, das technologische Paradigma mit der geistlichen Einstellung zu versöhnen». Dies sagte der Berner Herzspezialist Professor Thierry Carrel vor der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Ärztinnen und Ärzte (AGEAS).
Der renommierte Herzchirurg Thierry Carrel sprach von christlichen Ärztinnen und Ärzten.
An der Tagung der AGEAS übten Ärztinnen auch die Reanimation von Patienten.

Zum Thema «Hochspezialisierte Herz-Medizin und Spiritualität – Widerspruch oder Ergänzung?» sagte der prominente Herzchirurg, es gebe in der Medizin nebst dem Wissen, der Erfahrung und der Intuition noch eine vierte Ebene: die Spiritualität. «Wir sollten für alle vier Ebenen empfindlich sein». Der Kardiologe von Weltruf fasste diese Einsicht mit Kurzformel zusammen: «Hightech ist auf High Care angewiesen.»

«Spiritualität» im Aufwind

Aufgrund vieler Studien und neuer Literatur, vor allem in den USA, habe die Spiritualität eine höhere Akzeptanz erhalten, sagte Thierry Carrel, Hauptreferenz an der Frühjahrstagung der AGEAS vom 14. – 15. Mai 2011 im Kurhaus Ländli in Oberägeri.  «Heute befasst sich die medizinische Wissenschaft wieder mehr mit dem spirituellen Einfluss auf Krankheit und Gesundheit.» Carrel plädierte dafür, dass die Ärzteschaft hier selbst Verantwortung übernehme und das Gespräch über die Sorgen und Ängste der Patienten nicht einfach den Spitalseelsorgern überlasse. Professionelles Verhalten bedeute für den Arzt, dass er eine erweiterte Form von Spiritualität pflege, die auch Empathie und Fürsorglichkeit gegenüber Patienten einschliesse.
 
Unterstützt in seinem Anliegen sieht sich Carrel durch die in Wien gegründete «Interreligiöse Ärzteplattform». Einen Impuls in die richtige Richtung habe 1995 auch die Weltgesundheitsorganisation WHO gegeben, welche die Bereiche Spiritualität und Religion in ihren Katalog für Lebensqualität aufgenommen habe. Spirituelle Begleitung gehöre laut WHO zum Konzept guter Palliativmedizin. «Weshalb nicht auch in die Higthtech-Medizin?», lautete Carrels Frage, die ihn selbst antreibt.

«Humanisierung der Medizin»

Medizinisches Handeln muss auf Evidenz und Fakten beruhen. Davon geht auch Carrel aus. Gerade dies verpflichte aber die Medizin den Zusammenhang von Spiritualität und Heilung besser wahrzunehmen. Carrel beobachtet auch in offiziellen Publikationen der Schulmedizin eine Trendwende, so etwa in der Zeitschrift «Medical Ethics». Allerdings setze dieser Bereich bei der Ärzteschaft eine spezielle Wahrnehmungsfähigkeit voraus. Carrels Forderung lautet: «Die Spiritualität gehört in die Anamnese (Erfassung der Leidensgeschichte -Red).» Die spirituellen Bedürfnisse und die entsprechende Vergangenheit des Patienten müssten beim Spitaleintritt erfasst werden. Carrel arbeitet darauf hin, dass dies in seiner Abteilung zum Standart wird. Er hofft dabei auf die vorgesehen elektronische Krankendossiers, welche es erlauben würden, die Anamnese gründlicher zu machen. Für Carrel würde das eine «Humanisierung der Medizin» bedeuten.

Antworten im Angesicht des Todes

Ärzte im Hightech-Bereich müssten sich heute oft der «Warum-Frage» der Patienten stellen, so die Erfahrung Carrels. Wenn eine Operation schlecht verlaufen ist oder wenn die Zeit des Wartens auf ein Spenderorgan quälend wird. Es sei für Ärztinnen und Ärzte in der Herzchirurgie schwierig, wenn sie nicht selbst Antworten  hätten, besonders im Angesicht des Todes.  Denn »wenn wir im Tod nicht in die Hände eines Gottes oder einer höheren Macht fallen, fallen wir ins Nichts!» Für Carrel ist klar: «Lebensführung und Todeserleben haben einen Zusammenhang.» Wie wir das Leben ausgerichtet hätten, bestimme, «ob wir leichter oder schwer sterben». Viele Sterbende litten darunter, dass sie «mit Menschen oder Schöpfung nicht ausgesöhnt sind.»

Spiritualität

In «Spiritualität» sehen viele Menschen heute eine tolerante, lebensdienliche und gesundheitsfördernde Form der Religiosität. Für Carrel bedeutet sie, dass «Menschen aus dem religiösen Glauben Kraft schöpfen». Es gelte für Ärzte und Patienten, die Endlichkeit zu akzeptieren, sich von übertriebenen Erwartungen zu entlasten und Leben und Gesundheit als Geschenk zu betrachten.

Persönlich holt sich Carrel die Kraft dazu mit regelmässigen Aufenthalten im Kloster Haute Rive.
 

Datum: 21.05.2011
Autor: Fritz Imhof
Quelle: www.ideaschweiz.ch

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