Angie und Ken Hauer

Mit der Pensionierung kam der Frust

Angie und Ken Hauer lasen zusammen Bücher und besuchten Kurse, um ihre Ehe zu pflegen. Nach der Pensionierung ertrugen sie sich zeitweise fast nicht mehr. Nun strahlen sie wieder gemeinsam. Hier erzählt das Paar, wie es seine Krise überwunden hat.
Angie und Ken Hauer (Bild: zVg)
Angie und Ken Hauer (zVg)

Nach der Pensionierung gingen sich Angie und Ken Hauer so auf die Nerven, dass Ken einmal allein eine neunstündige Wanderung unternahm und Angie sich ein paar Tage in eine Ferienwohnung zurückzog. Sie brauchten Zeit, um sich wiederzufinden. Ken (66) erzählt: «Ich wollte mit Angie per Velo die Umgebung erkunden, sie aber hat sich einen Töff gekauft.»

Weil es im Kanton St. Gallen nicht gestattet ist, Motorräder öffentlich zu parkieren, schlägt die 58-Jährige vor, einen Parkplatz auf dem eigenen Grundstück bauen zu lassen. Doch mit dieser Idee beisst Angie bei ihrem Mann auf Granit. Er ist in Minnesota in einer Familie mit knappen Finanzen aufgewachsen, sie in einer gut betuchten in Schorndorf bei Stuttgart. Der frisch Pensionierte macht sich viele Gedanken, ob die zukünftigen Einkünfte zum Leben reichen würden. Angie versteht das nicht. Inzwischen haben sie sich wiedergefunden. Darüber wollten wir mehr wissen.

Was hat Sie veranlasst, in die Schweiz zu ziehen?
Ken
: Ich habe schon in den USA als Verfahrenstechnik-Ingenieur für Bühler gearbeitet. Die Gelegenheit, für die gleiche Firma in Uzwil eine Aufgabe zu übernehmen, habe ich sofort ergriffen. Ich war an der Planung und Inbetriebnahme von PET-Anlagen beteiligt und konnte so die ganze Welt bereisen.
Angie: Nach dem Mauerfall empfand ich das Klima in Deutschland als unangenehm. Deshalb bin ich nach meinem Industriedesign-Studium in München 1990 nach St. Gallen gezogen. Hier habe ich mich sofort heimisch gefühlt. Seit fünf Jahren hat unsere Familie nun auch den Schweizer Pass!

Wie haben Sie sich kennengelernt?
Ken: Während einer Skitour mit dem SAC. Wir waren danach jedes Wochenende in den Bergen am Wandern und Klettern, fuhren beide ein schweres Motorrad. Die starke Frau imponierte mir. Insgeheim wusste ich, dass sie mich herausfordern wird und ich mich dann nicht zurücklehnen kann.
Angie: Wir heirateten 1994 in Jeans und Bergschuhen im Wildkirchli im Alpsteingebiet. Als berufstätiges Ehepaar erlebten wir eine sehr gute Zeit. Wir funktionierten auch in angespannten Situationen als Team.

Das erste Geschenk von Ken war etwas gewöhnungsbedürftig...
Angie: Oh ja! Ken war schon mit Jesus unterwegs, sein erstes Geschenk war deshalb eine Bibel. Damals habe ich nicht oft darin gelesen, aber wir sind zusammen in eine Freikirche und zum Hauskreis gegangen. Doch ich hatte ihn gewarnt: Übe keinen Druck aus auf mich – sonst bleibe ich nicht offen für den Glauben.
Ken: Ich bin ein Risiko eingegangen, als ich Angie heiratete. Dass sie nach sechs Jahren ebenfalls Ja sagte zu Jesus, macht mich sehr dankbar.

Sie haben vom Beruf der Designerin zu Mutter und Hausfrau gewechselt und wurden später ehrenamtliche Mitarbeiterin in Ihrer Gemeinde. Erfüllte Sie das?
Angie: Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass ich als Mutter ganz zu Hause bleibe. Doch mit zwei kleinen Kindern war ich sehr müde und erschöpft. Als nach zehn Jahren mein chronischer Eisenmangel erkannt und behandelt wurde, hatte ich plötzlich wieder Energie. Ich fing ein Kunststudium an, wurde wieder stärker und stand immer mehr auch zu meiner Meinung. Das war ungewohnt für Ken.

Haben Sie deshalb am Ehekurs LAM (Love After Marriage) teilgenommen?
Ken: Zuerst wollten wir nur die Freunde unterstützen, die ihn anboten. Aber je länger wir die Themen bearbeitet haben, desto mehr zeigte sich, wo bei uns Konfliktpotenzial schlummerte. Das war zuweilen brutal. Wir haben laut miteinander gestritten.
Angie: Es war eine happige Zeit! Ich realisierte, dass ich nie gelernt hatte, meine Bedürfnisse auszusprechen. Ich habe erwartet, dass er spürt, was ich brauche. Und ich erkannte, dass Ken mich dann verbal angreift, wenn er sich minderwertig fühlt. Wir haben viel gelernt im Kurs und waren daher überrascht, was nach der Pensionierung passierte. 

Haben Sie sich nicht darauf vorbereitet?
Ken: Nicht wirklich. Ich dachte, ich engagiere mich in der Gemeinde, da bekomme ich weiterhin Anerkennung und werde gebraucht. Ich moderiere beim Gottesdienst der Pfimi St. Gallen und treffe mich monatlich mit Männern am Feuer, wo wir austauschen. Aber als ich mein Büro räumte, merkte ich, dass etwas definitiv zu Ende geht. Nun kann ich mein Fachwissen nicht mehr einsetzen oder weitergeben. Das hat stark an meinem Selbstwertgefühl genagt. Die Arbeit im Homeoffice hat auch eine gewisse Entfremdung bewirkt, ich konnte mich nicht angemessen verabschieden oder nach 33 Jahren verabschiedet werden.
Angie: Für mich waren es klar geistliche Angriffe, die Ken so reizbar machten, und der Grund, warum Ken sich so minderwertig fühlte. Ich habe daher viel für ihn gebetet. Dieses Bewusstsein und Gottes Nähe halfen mir, die Zeit durchzustehen. Wir setzten auch ein paar der Werkzeuge ein, die wir im LAM-Kurs mitbekommen hatten.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Angie: Wir gehen im Gebet zu Jesus und sagen uns los von negativen Sätzen. Und dann fragen wir nach einem neuen, aufbauenden Satz. Aber auch sonst ist gemeinsam zu beten etwas Kraftvolles. Man hört einander zu und gibt Probleme an Gott ab.
Ken: Beide mussten wir lernen, auszusprechen, was wir fühlen und uns wünschen.
Angie:
Ken hat das Gefühl, er kann mir mit fertigen Lösungen bei Problemen helfen; doch er hilft mir viel mehr, wenn er einfach nur zuhört. Danach bin ich offen für Lösungen. Das haben wir geübt, und jetzt ist er mir da eine grosse Hilfe.

Wie hat sich die Pensionierung im Alltag ausgewirkt?
Ken: Ich wollte die freie Zeit geniessen und war empört, dass ich nun plötzlich einkaufen soll! Vorher hat das Angie gemacht, weshalb nun nicht mehr? Inzwischen schätze ich die vielen Kontakte, die ich dabei pflegen kann. Und ich freue mich, wenn Angie sich durch ihren Blog, ihre Kunst und ihre Aktivitäten in der Pfimi entfaltet.
Angie: Eine begeisterte Hausfrau war ich nie. Daher finde ich es nur fair, dass wir es aufteilen.

Was ist anders bei Mann und Frau?
Angie: Männer brauchen klare Ansagen. Ken kann nicht ahnen, was ich mir wünsche. Frauen sind oft feinfühliger und verletzlicher und brauchen den Schutz, den der Mann geben kann. Wir ergänzen einander, so ist es wohl von Gott gedacht.
Ken: Ich bin näher am Wasser gebaut als Angie. Doch dazu kann ich stehen. Sie spürt dafür viel schneller, was Sache ist.

Wie erleben Sie körperliche Nähe? Hat sich da auch etwas verändert?
Ken: Für mich ist Intimität wichtig, aber ich habe gemerkt, dass Fordern kontraproduktiv ist. Wir können einander Liebe schenken und lernen, einander so anzunehmen, wie wir sind.
Angie: Ich drücke meine Wertschätzung für ihn aus, indem ich ihm in der körperlichen Intimität entgegenkomme. Er drückt seine Wertschätzung aus, indem er mir gut zuhört, fragt, was für mich wichtig ist, und echtes, tiefes Interesse für mich zeigt. Er braucht die körperliche Intimität und die kann ich ihm geben, wenn ich die emotionale Intimität bekomme.

Angie und Ken sind sich einig: «Wir sind Gottes Ebenbild, als Paar drücken wir verschiedene Aspekte Gottes aus. Je reflektierter jeder von uns ist, desto besser können wir miteinander reden. Und je mehr wir uns einander öffnen, desto leichter und schöner wird das Zusammenleben. Wir sind überzeugt, dass bei vielen Paaren noch viel ungenutztes Potenzial vorhanden ist. Man kann sich nach einer Krise wiederfinden und gestärkt weitergehen.»

Dieser Artikel erschien zuerst bei IDEA Schweiz.

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Datum: 08.02.2022
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: IDEA Schweiz

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