Stimme von der Kriegsfront

Sirenen rufen ukrainische Christen zum Gebet

Tatiana Sulima
Noch immer tobt der Krieg in der Ukraine. Tatiana Sulima lebt in Saporischja, nur 25 Kilometer von der russischen Armee entfernt. Für Livenet gibt sie einen Einblick in ihr Alltagsleben.

Tatiana Sulima ist Verantwortliche in einem städtischen Hilfszentrum in Saporischja (Ostukraine), seit 2022 gibt es auch in Mukatschewo eine Filiale.

Wie sieht Ihr Alltag aus und woraus bestehen Ihre Aufgaben?
Tatiana Sulima: Saporischja liegt nahe an der Kriegsfront. Momentan ist die Anzahl der Hilfsbedürftigen hier grösser denn je. Viele Häuser sind zerstört worden, viele Menschen haben wegen des Kriegs ihre Arbeit verloren. Wir sind an zwei Orten tätig: In Saporischja kümmern wir uns täglich um 80 bis 100 Menschen, in Mukatschewo um ungefähr 50.

In erster Linie benötigen sie Lebensmittel – davon kann man nie genug haben –, daneben aber auch Hygieneartikel, Bettwäsche und Kleider. Zusätzlich fahren wir jede Woche mit Lebensmittel- und Hygienepaketen in umliegende Dörfer. Die Region Saporischja ist unter ukrainischer Kontrolle und wird immer wieder systematisch beschossen. Weiter evakuieren wir Menschen aus der Region Donezk, in der Regel aus Avdeevka. Wir haben auch Öfen und Generatoren für die Stromversorgung geliefert und installiert.

Was sind die grössten Probleme und Herausforderungen?
Das grösste Problem ist, dass die russischen Truppen nur 25 Kilometer von Saporischschja entfernt sind und man nicht weiss, was morgen oder auch nur in der nächsten Stunde passiert. Es vergeht kein Tag, an dem unsere Stadt nicht unter Beschuss gerät, sei es mit Raketen oder mit Drohnen. Ständig haben wir Luftalarm – manchmal mehrmals in der Stunde, mindestens aber mehrmals am Tag und in der Nacht. Das löst jedes Mal Angst aus. Schlägt tatsächlich ein Geschoss ein? Wenn ja, wo? Nichts ist planbar. Eigentlich haben wir am 24. Februar 2022 alles Planen eingestellt.

Die Herausforderung für uns besteht darin, das zu tun, was wir trotz allem tun können, und dabei die Menschen um uns herum zu ermutigen und zum Weitermachen zu inspirieren.

Wie bewerten Sie die Lage in der Ukraine?
Es sieht sehr schlecht aus. Unser Land ist viel kleiner als Russland, aber Mitleid bekommen wir deswegen von russischer Seite keines. Wir müssen unsere Gebiete verteidigen. Russland will unser fruchtbares Land an sich reissen und legt dafür alles in Schutt und Asche. Mir kommt es vor, als wolle man unser Land und unser Volk einfach auslöschen. Russland ist in unser Haus eingedrungen, das friedlich und stabil war, und hat Arbeitsplätze und Wohnraum zerstört. Es hat uns Gebiete gestohlen und richtet Tod und Chaos an.

Wie erleben Sie die internationale Unterstützung?
Wir arbeiten seit 2014 mit zwei Missionswerken in der Schweiz zusammen. Sie stehen uns auch jetzt zur Seite und unterstützen uns, so dass wir Notleidenden helfen können. Sie kennen uns und verstehen die schwierige Lage hier. Auf diese zwei Werke können wir uns verlassen, was für uns sehr wichtig ist. Das gibt uns Hoffnung und Mut. Dafür sind wir sehr dankbar. Daneben erhalten wir manchmal einzelne Spenden.

Die Ukraine als Staat erhält viel Unterstützung, aber häufig mit Verzögerung. Die Medien berichten von vielen Hilfsversprechen, aber oft muss man dann lange auf die Hilfe warten. Und nicht alle lösen ihre Versprechen auch ein. Wirklich helfen kann uns nur Gott. Wir spüren seine Gegenwart in diesen schwierigen Zeiten.

Wie erleben Sie das Wirken Gottes in dieser Zeit?
Wir haben angefangen, mehr zu beten. Wenn die Sirenen wieder heulen, ist uns das immer eine Mahnung zu beten. Dabei erleben wir, dass Gott Frieden und Ruhe in unsere Herzen gibt. Das macht es möglich, dass wir weitermachen und zu seiner Ehre Gutes tun können. Aber wir sind auch Menschen. Manchmal fällt es uns schwer, den Mut nicht zu verlieren und auch noch andere zu trösten. Bitte beten Sie weiter für uns!

Das Interview wurde schriftlich geführt und durch die Christliche Ostmission übersetzt.

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Datum: 11.05.2023
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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