Neue Pfarrstellen-Zuordnung

«Kein Golfklub mit Memberkarte»

Markus Dütschler
Ein neuer Verteilschlüssel der Pfarrstellen soll umgesetzt werden. Die medialen Wellen gingen hoch. Einerseits würde sich die Reformierte Landeskirche als «Volkskirche» bestätigen, andererseits könnten kleinere Gemeinden weniger Personal abbekommen.

Gesamthaft könnte die neue Zuteilung eine Chance sein, dass die Wahrnehmung und somit die Wertschätzung grösser wird, was die Kirche eigentlich alles an Diensten in der Gesellschaft leistet. Da wird auch die Frage legitim: «Gibt es nicht auch eine gewisse Systemrelevanz?»

Von Seiten des Staates bzw. der Kantone ist dieses Bewusstsein durchaus vorhanden, was die beträchtliche finanzielle Unterstützung beweist. Seelsorge und anderes steht daher unentgeltlich zur Verfügung, wobei es auch Angebote gegen Bezahlung gibt. Hochzeiten und ähnliche Dienste können beansprucht werden, oder der Gebrauch von Kirchenräumen oder Sälen. Gerade in Ortschaften, wo sonst keine grösseren Räumlichkeiten bestehen, sind diese sehr gefragt.

«Grosse» und Nicht-Reformierte profitieren

Die neue Pfarrstellenzuordnungsverordnung (PZV) würde ebenfalls die Grösse der politischen Gemeinde, also auch Nichtreligiöse oder Mitglieder anderer Glaubensgemeinschaften berücksichtigen. Eine Kirchgemeinde wie das bernische Trub, in der rund 90 Prozent der Bevölkerung Reformierte sind, würde beispielsweise Stellenprozente verlieren. Die Gesamtkirchgemeinde der Stadt Bern, mit einem Anteil von rund 32 Prozent an der Bevölkerung, würde hingegen dazugewinnen.

Ab Herbst 2022 lief eine Vernehmlassung zur PZV mit dem Kirchgemeindeverband, dem Pfarrverein und anderen Interessierten. Die Antworten werden zurzeit ausgewertet. Voraussichtlich im Mai gibt es im Synodalrat einen weiteren Schritt, frühestens 2026 wird sie in Kraft treten.

Reformierte Kirche ist und bleibt Volkskirche

Nebst rund 270 Pfarrstellen gehört aktuell eine Verwaltung mit 70 Stellen zu den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Das Kriterium der Bevölkerungszahl wurde von einer Arbeitsgruppe inklusive Pfarrverein ins Spiel gebracht. Die Arbeitsgruppe verfolgte die Absicht, die begrenzten Ressourcen auf möglichst viele Schultern zu verteilen, nach der Überlegung: «Besser viele verlieren ein wenig, als wenige viel.»

Livenet war im Austausch mit Markus Dütschler (61), Co-Leiter Kommunikationsdienst der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.

Welches sind die Haupt-Argumente, die für eine neue Regelung sprechen?
Markus Dütschler: Der Rückgang bei den Mitgliederzahlen ist ein Faktum. Es wäre wenig kreativ, die Stellenzuordnung einzig auf diese Zahl abzustellen. Denn schliesslich ist eine Pfarrperson nicht nur für die zahlenden Mitglieder da. Gerade in kleineren Dörfern kennen den Pfarrer oder die Pfarrerin alle, auch jene, die ausgetreten sind oder einer anderen Religionsgemeinschaft angehören.

Inwieweit ist der Dienst an Nicht-Mitgliedern für die Kirche zweckmässig?
Die Kirche ist kein Golfclub. Dort bezahlt man den Mitgliederbeitrag, damit man den Golfplatz benutzen darf. Nichtmitglieder haben oft nicht einmal Zutritt zum Clubhaus. In einem Gottesdienst gibt es keine Zutrittskontrolle, bei der eine Membercard vorgezeigt werden muss. In einem Bericht, den die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn kürzlich über ihre Tätigkeit verfasst haben, heisst es: «Die bernische reformierte Kirche hält aber trotz kleiner werdender Mitgliederzahlen am Anspruch fest, eine 'Volkskirche' zu sein. Kirche sein 'für alles Volk' versteht sie so, dass sie bei den Menschen präsent sein will.» Das bedeutet, dass es kirchliche Angebote für Kinder, Jugendliche und Menschen im dritten Lebensalter gibt, die von allen genutzt werden können. Darunter befinden sich viele soziale Angebote: von der Schulaufgabenhilfe über HipHop Dance bis zur Wandergruppe für Senioren. All diese Veranstaltungen werden nicht nur von Mitgliedern besucht. Die «caring community», wie dies neudeutsch heisst, kümmert sich um alle, die dies benötigen und wünschen – unabhängig von der eigenen Weltanschauung.

Könnte dies zu einem neuen Bewusstsein und Wertschätzung in der Gesellschaft führen?
Zweifellos wird das soziale Engagement der Kirchen von weiten Teilen der Gesellschaft geschätzt und geachtet. Nicht nur das: Der Kanton Bern unterstützt die Kirche bezüglich diesen «Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse» mit Beiträgen in Millionenhöhe. Dies deshalb, weil der Staat grosse Teile dieser gesellschaftlichen Arbeit sonst in Eigenregie bereitstellen und finanzieren müsste. Die Wertschätzung von staatlicher Seite ist also zweifellos vorhanden. Der Grosse Rat des Kantons Bern wird im Herbst 2024 darüber entscheiden, ob er diese Zuwendungen für weitere sechs Jahre sprechen wird, sei es in unveränderter Höhe oder in höherem oder geringerem Ausmass.

Wie kam es zur jetzigen Situation?
Es gab schon bisher eine Pfarrstellenzuordnung, die festlegt wie viele Stellenprozente einer Kirchgemeinde zustehen. Diese Verordnung hätte eigentlich längst revidiert werden sollen. Doch im Hinblick auf den nahenden Grossratsentscheid 2024 entschied man sich, die neue Verordnung erst später in Kraft zu setzen, wenn bekannt ist, wieviel der Kanton bezahlt.

Und woher stammt die bestehende Regelung der staatlichen Pfarrstellenbesoldung?
Die Regelung, wonach der Staat Bern die Pfarrlöhne bezahlt, geht auf das Jahr 1804 zurück. Damals zog der Kanton Bern die Kirchengüter ein. Er verpflichtete sich umgekehrt zur Besoldung der Pfarrer. Laut jener Berechnung entspricht dies heute 272 Stellen.

Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Die Sommersynode 2022 hat lediglich eine Stossrichtung der neuen PZV vorgegeben. Sie legte fest, dass nicht nur die Mitgliederzahl bei dieser Zuteilung berücksichtigt wird, sondern auch die Gesamteinwohnerzahl. Dies eben darum, weil Kirche nicht nur von Mitgliedern genutzt wird, sondern weil sie auch für die gesamte Bevölkerung da ist. Erfahrungsgemäss ist der Anteil von Nichtmitgliedern oder von Angehörigen anderer Religionen in Städten und Agglomerationen höher als in einem kleinen Dorf auf dem Land. Manche Landgemeinden befürchten darum, dass sie von der neuen Regelung benachteiligt sein könnten.

Beizufügen ist, dass manche Kirchgemeinden bereits nach der alten Verordnung stellenmässig «überversorgt» sind. Wenn es nach der neuen Verordnung zu Kürzungen kommt, hat dies nicht allein mit der neuen PZV zu tun. Es gibt auch Kirchgemeinden, die finanziell so gut dastehen, dass sie aus der eigenen Kasse zusätzliche Stellenprozente finanzieren können.

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Datum: 20.04.2023
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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