Begegnung mit Thomas Zindel, einem grossen Freund der Sportler

Am Draht mit Spitzensportlern: \"Es gibt Bereiche, wo die Athleten Unterstützung brauchen.\"
Thomas und Marlies Zindel
Jubel

Snowboarderin Ursula Bruhin, Eishockeyspieler Marc Ouimet und Kunstspringerin Jacqueline Walcher-Schneider haben drei Dinge gemeinsam: Sie sind oder waren Profisportler, bekennen öffentlich ihren Glauben an Gott und haben eine Beziehung zu Thomas Zindel, Leiter von "Athletes in Action Schweiz".

Donnerstagnachmittag, mitten in Zürich. Über das Bahnviadukt auf der linken Seite donnert ein Güterzug. Von der Baustelle im Hintergrund hört man Maschinenlärm. Das rötliche Bürogebäude auf der rechten Seite an der Josefstrasse 206 macht nicht gerade den einladendsten Eindruck. Trotzdem betrete ich es und steige die Treppe in den dritten Stock hoch. Dort finde ich die Büros von "Campus für Christus". "Diese Organisation entstand um 1951 an den amerikanischen Universitäten", wird mir Thomas Zindel später erklären. Und da in den USA Uni und Sport eng verflochten sind, sei innerhalb von "Campus für Christus" mit "Athletes in Action" (AiA) dann 1966 eine Sportlerarbeit entstanden. AiA findet man heute weltweit in über 70 Ländern. In der Schweiz wurde die Organisation 1984 gegründet. Ein Jahr später kam der heutige Leiter, Thomas Zindel, dazu. Ihn habe ich inzwischen zwei Stockwerke tiefer in seinem Büro gefunden.

Joggen und Golf

Seine sportliche Statur und der Aufdruck "Football" auf dem blauen Pullover weisen auf seine Tätigkeit als Leiter einer Sportlerorganisation hin. "Leider mache ich selber zurzeit nicht allzu viel Sport. Ein bisschen Joggen und Golf spielen, aber das ist es dann schon bald..." Muss er auch nicht, denn schliesslich liegen seine Schwerpunkte an einem anderen Ort: Der 43-jährige ehemalige Sport- und Religionslehrer bietet zusammen mit fünf vollamtlichen und etwa 80 ehrenamtlichen Mitarbeitern Menschen im Sport seelsorgerliche Unterstützung an. "Ich sah in der Beziehung zu Leistungssportlern, dass diese extrem begabt sind. Diese Begabung ist allerdings sehr einseitig, und es gibt Bereiche, wo sie Unterstützung brauchen", erklärt Zindel. Zwei Punkte motivieren ihn in seiner Arbeit: "Das eine ist die ganzheitliche Förderung des einzelnen Sportlers. Auch wenn du noch so bekannt bist, hast du Bedürfnisse, die allein Jesus stillen kann. Das andere ist zu sehen, wie viel guten Einfluss Sportler nehmen können, wenn sie im Glauben wachsen und auch das leben, was sie sagen."

Tiefe Unsicherheit

Thomas Zindel hatten schon mit den verschiedensten Sportlern Kontakt: "Angefangen hat es mit Franz Meier, lange Zeit Schweizer Rekordhalter über 400 Meter Hürden. Dann kam Markus Macchi dazu. Er war Weltmeister im Kunstradfahren. Dann zum Beispiel Wynton Rufer, Fussballer bei Aarau und Zürich, später auch in der Bundesliga. In den letzten Jahren waren es vor allem Jacqueline Schneider, Ursula Bruhin und Eduardo." In Gesprächen ist es Zindel möglich, unter die Oberfläche dieser Stars zu schauen. "Wenn du eine Öffentlichkeitsperson bist, musst du den richtigen Umgang damit finden. Du musst dich irgendwo abgrenzen und es schaffen, eine Natürlichkeit beizubehalten. Das ist gar nicht so einfach." Zindel lernte viele Sportler kennen, die trotz grosser sportlicher Erfolge innerlich sehr unsicher seien. Sie wüssten nicht, ob all ihr Erfolg reiche, um geliebt und angenommen zu sein.

Antwort per Talon

In dieser Unsicherheit möchte AiA den Sportlern Hilfe anbieten. "Wir gehen an Wettkämpfen auf die Sportler zu. Dann kommt es natürlich auch vor, dass sie sich an uns wenden." Die ehemalige Kunstspringerin Jacqueline Schneider sei in einer schwierigen Lebenssituation gewesen, als ihr eine Ausgabe des AiA-Magazins "Sportlight" in die Hände geraten sei und sie sich per Antworttalon beim AiA-Büro gemeldet habe. "Jacqueline Schneider war mir damals völlig unbekannt. Erst als ich mit ihr telefonierte, wurde mir bewusst, wer das überhaupt ist", erinnert sich Thomas Zindel schmunzelnd. Oft würden sich die Gespräche mit den Athleten zuerst um allgemeine psychologische Themen wie Identität oder Umgang mit Sieg und Niederlage drehen. "Irgendwann kommst du im Gespräch dann auf einen Punkt, wo du fragen kannst: "Hast du einen Ort, wo du das hinter dir lassen kannst? Darf ich dir erzählen, wie ich oder andere das erleben?"" So sei es möglich, Themen wie Gott und Glaube anzuschneiden und auch Gebet anzubieten.

Promi-Gesellschaft

Thomas Zindel ist Vater von drei Kindern im Alter von 17, 15 und 12 Jahren. Mit seiner Frau Marlies ist er seit 20 Jahren verheiratet. Sie arbeitet ebenfalls bei AiA und begleitet und berät Topsportlerinnen. Das Ehepaar erlebt immer wieder Sportler, die einem extremen Druck ausgesetzt sind: "Wer Hochleistungs- und Berufssport macht, kann nicht nur Fan sein. Er muss etwas geben, das in den Wurzeln des Wortes Fanatismus liegt: nämlich totalen, oftmals rücksichtslosen Einsatz." Das berge eine grosse Gefahr in sich. "Wer ständig im Spannungsfeld "Alles oder Nichts" lebt, ist in der Gefahr, sich selbst gegenüber rücksichtslos zu werden." Dies habe zur Folge, das sie viel weniger Rücksicht auf Körper, Gesundheit, Beziehungen und Werte bereit legen. Sie seien bereit, alles zu kippen, um das Ziel zu erreichen. "Wir leben heute in einer Promi-Gesellschaft, wo der Mensch noch mehr ins Zentrum gerückt wird. So begehrt dieser Status sein mag, er erfordert Opfer und birgt die Gefahr, missbraucht zu werden und andere des Zieles wegen zu missbrauchen."

Blau-gelbe Fans

Dazu komme die Rücksichtslosigkeit des Systems. "Sponsoring wird gekürzt, sobald auf der Erfolgsleiste nicht mehr das erreicht wird, was erwartet wird." Ähnlich sehe es auf der Fan-Seite aus: "Der Kunde, also der Sportkonsument, ist relativ rücksichtslos in der Beurteilung. Er sieht sich sehr schnell als Fachmann und kritisiert eine Leistung sehr hart und rücksichtslos." All das könne dazu führen, dass der einzelne - ob Funktionär, Trainer oder Sportler - innerlich hart werde und sich einen Schutz überziehe, in dem er über längere Zeit Schaden nehme. "Das Fanatische im Sinne des rücksichtslosen Einsatzes ist ein Teil der Gesellschaft, den man eben auch im Sport wieder findet."

Bis 1986 spielte der EishockeyClub Arosa in der Nationalliga A. Damals war Thomas Zindel einer der Fans, welche die Mannschaft blau-gelb gekleidet von Spiel zu Spiel begleitete. "Ich glaube, ein Grund für die hohe Begeisterungsfähigkeit für den Sport liegt darin, dass der Mensch sich identifizieren und in einem Team dabeisein möchte - nach Möglichkeit in einem Winner-Team." Es liege in unserem Ursprung, dass wir alle gerne selber siegen möchten. "Irgendwie machen wir es ja auch zu unserem persönlichen Sieg, wenn unser Team siegt", erklärt Zindel. "Deshalb heisst es bei einer Niederlage auch eher "Die haben verloren" und bei einem Sieg "Wir haben gewonnen"."

Anbetung im Stadion

Ein wichtiger Aspekt des Fan-Phänomens sei, dass der Mensch im Prinzip von Gott zum Anbeten geschaffen sei. "Vielfach sind Stadien Orte, wo indirekt oder direkt Anbetung geschieht. Anbetung an den persönlichen Star, ans Team, ans Wir-Gefühl, an sich selbst, weil wir ja dann die Starken sind." Das könne zu Fanatismus führen. "Fanatismus wird in meinem Lexikon mit "Von der Gottheit ergriffen, in rasende Begeisterung versetzt" erklärt. Mein Team wird also zu meiner Gottheit, für die ich alles gebe." Zindel glaubt, dass in diesem Anbeten die Suche nach einer Identität liegt: "Wenn derjenige, der mir die Identität gibt, verliert, bekommt meine Identität irgendwo einen Schlag." Das führe zu Reaktion und Druck, welcher auf ganz verschiedene Arten abgebaut werde. "Aber ganz ehrlich - es ist auch super und aufregend, für ein Team zu fanen, zu hoffen, dass es gewinnt", ergänzt der ehemalige Fussballtrainer. "Das ist legitim und schafft Beziehungen."

Thomas Zindel sieht nicht nur die negativen Seiten des Sports. "Ich denke, dass wir als Christen vom Sport noch einiges lernen könnten. Wenn wir Gottesdienste hätten, an denen eine ähnlich begeisterte Atmosphäre herrschen würde wie bei einem Spiel des FC Basel, dann hätten wir etwas mehr Wirkung und Anziehungskraft." Woran liegt es, dass diese Begeisterung oft fehlt? "Vielleicht sollten wir radikaler werden. Jesus war kein Fanatiker, aber er war radikal." Christen würden zu oft darauf achten, sich möglichst viele Optionen freizuhalten. "Dadurch verlieren wir an Kraft. Wir dürfen den Mut haben, in Beziehungen, in Zielen und in der Hingabe klarer und konzentrierter zu sein." In einer Gesellschaft, in der man überall dabei sein müsse und an keinem Meeting fehlen dürfe, sei weniger oft mehr.

Datum: 16.07.2004
Autor: David Sommerhalder
Quelle: Chrischona Magazin

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