Kommunikation

Wenn ein Gespräch am Familientisch eskaliert

Ihr Partner oder eines Ihrer Kinder reagiert sehr aggressiv auf eine
Dicke Luft in der Familie

«harmlose» Aussage von Ihnen. Innert kürzester Zeit ist «dicke Luft». Kennen Sie solche Situationen?

Sie sitzen mit Ihrer Frau gemütlich in der Stube und geniessen es, dass Sie einmal ohne Kinder «sturmfreie Bude» haben. Das Gespräch beginnt harmlos und dann macht Ihre Frau eine Aussage: «Du gehst mit mir nie in den Ausgang.»

Klar, dass Sie es in den vergangenen Monaten beruflich sehr streng hatten und die Familie ein wenig zu kurz kam. Doch diese Aussage ist für Sie eine «Lüge» und Sie versuchen, Ihre Frau von der «Wahrheit» zu überzeugen. Sie beginnen aufzuzählen, wie oft Sie mit Ihrer Frau im vergangenen Jahr im Ausgang waren. Dies kommt bei Ihrer Frau gar nicht gut an: «Du verstehst mich überhaupt nicht!» «Dicke Luft» macht sich breit.

Wahrscheinlich war es in Ihrer Familie ein anderes Beispiel, aber solche Situationen kennen wir alle, wo wir uns unverstanden fühlten.

Der amerikanische Psychologe und Konfliktmediator Marshall B. Rosenberg bietet hier eine Hilfestellung an (siehe Buchhinweis am Schluss des Artikels). Dabei geht es allerdings nicht um eine «psychologische Technik», sondern um eine innere Haltung. Er plädiert dafür, rücksichtsvoller miteinander umzugehen, uns in unsere Mitmenschen einzufühlen und die Gefühle und Bedürfnisse des andern wahrzunehmen. Er empfiehlt folgende vier Schritte:

Schritt 1: Was sehe ich (bei mir und beim Andern)?

Ich beobachte, was in der Situation geschieht. Dabei versuche ich, jedes Werturteil zu vermeiden (z.B. ob das Geschehen «gut» oder «schlecht» ist).

Beispiel:
Mutter zum Sohn: «Ich sehe, dass du deine schmutzigen Socken, die du bei der Gartenarbeit getragen hast, ausgezogen und unter dem Kaffeetisch liegen gelassen hast. Ich …»

Es ist eine grosse Kunst, dem andern meine Beobachtung ohne Bewertung oder Beurteilung zu beschreiben. Beispiel: «Du schlägst mit der Faust auf den Tisch.» Ich versuche, das Geschehen innerlich von einer «neutralen» Warte aus zu sehen. Gedanken oder Kommentare wie «Wieder mal typisch. Nicht fähig, angemessen zu reagieren …» bringen Sie nicht weiter und führen eher zu einer Eskalation der Situation.

Schritt 2: Welche Gefühle nehme ich wahr (bei mir und beim Andern)?

Wichtig ist, wie wir uns fühlen, wenn wir diese Handlung beobachten und nicht was wir gerade denken. Aussagen wie «Du solltest ruhiger reagieren» oder «Immer in solchen Situationen …» sagen nichts über unsere innersten Gefühle aus. Es sind Beurteilungen und Verurteilungen unseres Gegenübers oder von uns selbst, wenn sich die Aussagen auf uns selbst beziehen.

Ausdruck unserer Gefühle sind beispielsweise Aussagen wie «Ich fühle mich hilflos, irritiert, verletzt …» oder «Ich fühle mich froh …» – «Ich bin innerlich dankbar …»

Beispiel:
Eine Mutter zum Sohn: «Ich ärgere mich, wenn ich deine Drecksocken zusammengerollt unter dem Kaffeetisch sehe. Die Socken ...»

Schritt 3: Welche Bedürfnisse stehen hinter den Gefühlen?

Es ist wichtig, dass ich zuerst genau hinschaue, «was für ein Film abläuft». Dann frage ich mich, was für Gefühle dieser «Film» bei mir auslöst. Erst in einem dritten Schritt fragen wir uns, was für ein Bedürfnis hinter diesem Gefühl steht. So auch im oben stehenden Beispiel vom Ärger über die Drecksocken auf dem Kaffeetisch.

Beispiel:
Mutter zum Sohn: «Die Socken unter dem Kaffeetisch ärgern mich, weil ich in den Räumen, die wir gemeinsam benützen, mehr Ordnung brauche. Bitte …»

Schritt 4: Was ist meine Bitte?

Erst nach den oben stehenden drei Schritten (Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis) versuche ich, meine Bitte klar und verständlich zu formulieren.

Marshall B. Rosenberg hat dazu eine gute Illustration:

Eine Frau sagt ihrem Mann, dass sie sich wünscht, dass er weniger Zeit im Büro verbringt. Was macht der Mann? Er nimmt den Vorschlag seiner Frau auf und meldet sich für einen Golfkurs an. Die Frau ist erneut verärgert. Warum? Eigentlich hätte sie sich gewünscht, dass ihr Mann wenigstens einen Abend pro Woche mit der Familie verbringt. Hat sie ihm dies auch so gesagt? Nein, denn die Bitte «Ich möchte, dass du weniger Zeit im Büro verbringst» ist sehr missverständlich formuliert.

Auch im Beispiel von den Socken unter dem Kaffeetisch muss die Mutter dem Sohn sagen, was sie von ihm erwartet:

Beispiel:
«Bitte würdest du deine Socken in dein Zimmer oder in die Waschmaschine tun?»

«Gewaltfreie Kommunikation» ist keine Technik, die wir lernen, sondern in erster Linie eine Frage der inneren Haltung. Wenn ich gelernt habe, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und auszudrücken, dann hilft mir dies, auch mein Gegenüber besser zu verstehen.

Wenn wir die Gefühle und Bedürfnisse des andern wahrnehmen können, dann trägt dies wesentlich dazu bei, dass wir eine Lösung finden, die das Leben von beiden Seiten bereichert. Wagen Sie es, die Gefühle und Bedürfnisse ihrer Familienmitglieder anzusprechen.

Beispiel:
Frau: «Du schlägst mit der Faust auf den Tisch und ich spüre, dass du verärgert bist. Hat dich meine Aussage verärgert oder ist es etwas anderes, was dich beschäftigt?»
Mann: «Ich hatte heute im Büro eine Auseinandersetzung mit meinem Chef und er hat mir gesagt, dass er sich fragt, ob ich für diese Aufgabe überhaupt geeignet sei …»
Frau: «Hast du Angst, deine Stelle zu verlieren?»
Mann: «Ja, ich habe grosse Angst. Es tut mir leid, dass ich vorhin so aggressiv reagiert habe, als du von mir verlangt hast, dass ich mich um die Kinder kümmere. Ich fühle mich von der ganzen Situation im Geschäft momentan überfordert …»

Wie wäre das Gespräch verlaufen, wenn die Frau mit demselben Ärger zurückgeschlagen hätte? Zum Beispiel: «Du kannst dich nie beherrschen. Wenn du dich mal um die Kinder kümmern sollst, dann rastest du gleich aus …»

Hinter Wörtern wie «nie», «immer» oder «du bist …» stehen Pauschalurteile. Sie führen zu einer Eskalation der Konflikte.

Es ist in angespannten Situationen nicht immer einfach, gelassen zu reagieren und unsere Mitmenschen mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen ernst nehmen, aber die Erfahrung zeigt: Wenn sich ein aggressiver Mitmensch in einem Gespräch verstanden und angenommen fühlt, dann beruhigt er sich oft und ist zu einem Kompromiss bereit.

Diesen Artikel hat uns die Schweizerische Stiftung für die Familie (SSF) zur Verfügung gestellt.

Zum Autor:
Markus Döbeli arbeitet als selbstständiger Caoch und Kommunikationsberater.

Buchhinweise:
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation
Dietrich Bonhoeffer: Nachfolge (Gedanken zur Bergpredigt)
Johannes Stockmayer: Nur keinen Steit vermeiden - Konflikttraining für Christen

Datum: 25.07.2012
Autor: Markus Döbeli
Quelle: SSF

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