Martin Werlen

«Kirchen sollten die Umkehr nicht nur predigen, sondern auch leben»

«Wo kämen wir hin?», heisst das neue Buch des ehemaligen Abts von Einsiedeln, Martin Werlen. Eine Kirche sollte die Umkehr nicht nur predigen, sondern auch leben, lautet seine provozierende These, die auch Nichtkatholiken jucken könnte.
Martin Werlen
Buchcover «Wo kämen wir denn hin?» von Martin Werlen

«Lange haben wir die Umkehr nur den andern gepredigt. Aber zuerst müssen wir sie selbst leben», gibt Martin Werlen zuerst einmal dem Klerus seiner Kirche zu bedenken. Doch der Leser merkt dann bald einmal, dass nicht nur die Kirchenoberen angesprochen sind, sondern alle, die sich als Christen und Christinnen verstehen.

Subtile Form des Unglaubens

Martin Werlen zündet für Menschen, die sich für gute Christen halten, so einige kleine Bomben: Er zitiert zum Beispiel den deutschen Geigenbauer Martin Schleske mit den Worten: «Es ist eine subtile Form des Unglaubens, wenn man sich an das, was man glaubt, gewöhnt hat.» Er macht schon mal deutlich, dass die Bibel so einiges enthält, woran man sich eigentlich kaum gewöhnen kann, oder man blendet es dann einfach aus.

Organisation statt Glaube

Er weist darauf hin, dass man nicht mit einigen kleineren oder grösseren Reformen die Kirche so verändern kann, wie sie Christus sieht. Reformwilligen Glaubensbrüdern und –schwestern der eigenen Kirche gibt er zu bedenken: «Zur Umkehr versucht Papst Franziskus die Getauften zu bewegen. Wie wenig das verstanden wird, zeigen die Erwartungen von links und rechts, dass er einzelne Stühle auf dem Schiff Petri umstellt. Das aber ist nicht Glaube, sondern Organisation.»

Die Beleidigung der Rechtschaffenen

Es geht da um grundsätzliche Haltungen. Werlens Lieblings-Bibelstelle dazu ist Lukas, Kapitel 15, Verse 1-2: «Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.» Dass sich Jesus seinerzeit Leuten annahm, die moralische Irrlichter und Abzocker waren – zuweilen recht demonstrativ – hat damals die Rechtschaffenen verärgert und würde es wohl auch heute tun. Jesus hat ihnen zum Beispiel mit dem Gleichnis vom verlorenen Schaf geantwortet. Hätten sich damals die guten Juden – und heute die guten Christen – nicht auch eine anerkennende Geste vom Meister gewünscht? Wo kämen wir den hin, wenn sich alle Gauner so leicht aus der Affäre ziehen könnten ...!?

Das Dilemma des älteren Sohns

Martin Werlen mahnt damit, nicht nur die Abkehr der Jungen von der Kirche und die zunehmenden Kirchenaustritte zu beklagen, sondern sich zu fragen, wie glaubwürdig die Verbliebenen das Evangelium leben. Freuen sie sich wirklich, wenn ein verlorener Sohn gefunden wird, oder stecken sie doch eher in der Rolle des älteren Bruders, der sich über die Freude und Grosszügigkeit des Vaters ärgert? Sind wir nicht auch kleine Pharisäer geworden?

Der Autor hat seinen Text in kurze Kapitel eingeteilt, die sich als Tagesabschnitte lesen lassen, den Faden aber immer weiter spinnen. Darin platziert er immer mal wieder Merksätze wie «Kein Mensch kann sich entschuldigen». – «Wir können aber um Entschuldigung bitten». Und schon ist der Bogen zu einer Kernwahrheit des Evangeliums geschlagen.

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Datum: 08.02.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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