Notker Wolf

«Ein christlicher Wert ist auch die Demut»

Alt Abt Abtprimas Notker Wolf, Referent am vierten Forum Christlicher Unternehmer, sprach im Interview über christliche Werte und über einen Grund, warum viele Unternehmen pleite gehen.Jesus hat kein Unternehmen gegründet. Was hat er aber gut gemacht, so dass er heute zu einem weltweit getragenen Label geworden ist?
alt Abtprimas Notkar Wolf (nach seiner Wiederwahl als Abtprimas der Benediktiner 2012)

Notker Wolf: Es ging ihm um den Menschen. Und auch um die Grundehrlichkeit. Er war ganz gegen die Heuchler eingestellt. Das ist etwas, was wir in unserer Gesellschaft sehr viel vorfinden. Da können wir manches kritisieren. Er hat auch gesagt: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich. Die Jünger waren entsetzt. Jesus ergänzte: Bei Gott ist alles schliesslich noch möglich. Er hat aber genauso gesagt: Wer faul ist, der erhält auch nichts. Das hat er im Gleichnis mit den Talenten gesagt.

Bei Jesus ging es um den freien selbstständigen Menschen. Er wollte den Menschen wieder zu seiner Freiheit befreien, zur rechten Wahrnehmung der Freiheit. Das ist bis zum heutigen Tag unser Problem. Ich denke an den Finanzcrash im Jahr 2008. Diese Leute haben sich wie kleine Kinder benommen. Diese Gier war völlig unkontrolliert. Sie sind wie die Lemminge alle in dieselbe Richtung gerannt. Ich vermisse bei ihnen jede Reflexion.

Sie sprechen von Heuchlern. Gibt es Spreu und Weizen auch in der Kirche?
Das gibt es schon auch. Aber Jesus war barmherzig. Er hat gesagt, dass man beides miteinander wachsen lassen soll. Er werde es dann selber trennen. Es ist nicht unsere Sache, alle zu beurteilen oder zu verurteilen.

Und dieses Prinzip funktioniert heute noch…
Ich denke schon. Man muss nur demütig sein und hinnehmen, dass nicht alle so vollkommen sind, wie man sie gerne haben möchte, und es selber auch nicht ist.

Sie sind als Gastreferent am vierten Forum Christlicher Unternehmer aufgetreten  Was unterscheidet ein christliches von einem weltlichen Unternehmen?
Ein weltliches Unternehmen kann auch sehr christlich handeln. Es hängt vom Unternehmer ab, ob er ein Verantwortungsbewusstsein für die Bevölkerung, für die Region zeigt, ob er sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzt und auch dafür, dass ein ordentliches Klima im Betrieb herrscht. Dass alles ehrlich abläuft. Ein Christ hat den Impuls, dass er es eigentlich tun müsste.

Unternehmen müssen Geld abwerfen und investieren können, um im Konkurrenzkampf zu bestehen. Kommen dabei die sogenannten christlichen Werte noch zum Tragen?
Das weiss ich nicht. Diese Frage habe ich mir selber auch gestellt. Im Moment, wo Unternehmer ihren dicken Reibach gemacht haben, können sie sich ganz gut solchen theoretischen Fragen stellen. Wie ernst es ihnen dabei ist – oder ob es vielleicht auch ein Zeichen einer gewachsenen Distanz ist, nachdem sie so und so viel in ihrem Leben hinter sich gebracht haben, das weiss ich nicht. Nach einiger Zeit fragen sie sich vielleicht doch: Wozu das Ganze? Das ist eigentlich die grosse Frage. Und dann kommen etliche Verantwortungsträger wieder auf die Idee und sagen: Ich tu was Gutes.

Das Problem liegt aber darin, dass diese Herren dann immer bestimmen wollen, was mit ihrem Geld geschieht, und nicht sagen: Wir wollen ein Gremium, das bestimmt. Ich kenne gute Unternehmer, die haben ihre eigenen Stiftungen gegründet und so bleibt das Geld beim Unternehmen selber.

Die christlichen Werte sind in dem Fall nicht bestimmend.
Nein. Ich schätze beispielsweise den Einsatz des Microsoft-Gründer und Mäzenen Bill Gates. Er bestimmt aber selber, wo sein Geld eingesetzt wird. Er hält an seiner Macht fest. Ein christlicher Wert ist auch die Demut.

Ein Unternehmer muss also zuweilen loslassen können.
Ich würde eher sagen: Er muss wissen, dass er nicht allein auf der Welt ist. Und er ist auch nicht der einzig Kluge. Er soll die anderen mit einbinden. Tu nichts ohne Rat, dann brauchst du hinterher nichts zu bereuen, sagt der heilige Benedikt. Und er ergänzt: Bei allen wichtigen Fragen soll der Abt sämtliche Mitbrüder einbinden. Er hat aber noch einen Nachsatz hinzugefügt: Ich sage bewusst sämtliche, weil Gott oft den jüngeren eingibt, was das Bessere ist.

Diesen Rat ernst zu nehmen, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich kenne manches Unternehmen, das Pleite gegangen ist. Bei diesen hat es oft daran gefehlt, dass man sich in den Vorstandssitzungen nicht mehr frei äussern durfte. Sonst wäre man geschasst worden oder die eigene Karriere wäre blockiert worden. Mir haben mehrfach Leute von Vorständen gesagt: «Bei uns getraut sich keiner zu hören, was die Wahrheit ist.» Das ist aber doch die grösste Blockade für ein Unternehmen!

Heute werden immer mehr Arbeiten von Computern verrichtet. Wie soll der Einzelne mit dieser neuen Verantwortung umgehen und auch mit seinem Gewissen vereinbaren, dass er einer Person die Arbeit wegnimmt, wenn er etwa in einem Geschäft an der Self-Scanning-Kasse bezahlt?
Ich habe es selber erlebt: Wenn ich früher in Rom morgens am Flughafen ankam, traf ich all die Damen am Check-In-Schalter. Das war wunderbar. Es war immer eine menschliche Note. Jetzt ist das alles weg. Ich kriege mein Ticket bereits elektronisch vorher geliefert, auch die Bordkarte. Weil ich nur mit Handgepäck fliege, um beweglicher zu sein, treffe ich dann auch niemanden mehr.

Aber ich habe etwas Neues entdeckt: Die Damen in der Lounge. Die kenn ich inzwischen auch alle. Es gehört überall immer ein Stück Menschlichkeit dazu. Es gab Zeiten in der Luftfahrt, da hatte man das Gefühl, ein Zigarettenautomat zu sein: Oben warf man das Geld ein, unten kam die Schachtel raus. Heute hat man bei vielen Gesellschaften wieder die Sorge um den Passagier entdeckt. Dies nicht in bevormundender oder bemutternder, sondern in liebenswürdiger Art.

Was denkt der Mönch, wenn er aus der gesellschaftlichen Hektik herauskommt und abends im Kloster die Zellentür hinter sich schliesst? Etwa: Zum guten Glück gibt es diese Tür und diese schliesst die Welt weg.
Das auch. Es gibt noch eines: das Grundgebet. Das ist meine Heimat rund um den Globus. Zum einen ist es mein Bett zu Hause, weshalb ich immer wieder gern nach Hause in meine Zelle fahre. Wenn ich unterwegs bin und in Klöster unterkomme, bete ich dort mit und fühle mich sofort zuhause. Für mich ist zuhause, wo Jesus Christus auch ist.

Datum: 10.04.2018
Autor: Georges Scherrer
Quelle: kath.ch

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