Kolumne von Sam Urech

Gott ist kein zorniger Gott

Wer gerne einem wutentbrannten Führer nacheifern möchte, sollte sich einen anderen Glauben suchen. Ansonsten macht er das Kreuz ganz klein, findet unser Kolumnist Sam Urech.
Sam Urech (Bild: zVg)

Bestimmt kannten Sie Anjezë Gonxhe Bojaxhiu (†87). Wahrscheinlich aber nur unter ihrem gängigen Namen Mutter Teresa. Die Albanerin wurde weltberühmt durch ihren Einsatz für Arme.

Wenn Sie nun einen Vortrag über Frau Bojaxhiu halten müssten, würden Sie wohl von all ihren guten Werken berichten, vom Friedensnobelpreis und darüber, wie opferungsvoll sie lebte, richtig? Vielleicht würden Sie am Rande erwähnen, dass Mutter Teresa auch mal zornig werden konnte. Aber würden Sie gleich zu Beginn und ganz vollmundig behaupten, dass sie ein zorniger Mensch gewesen sei?

Viele Christen reden derweil von Gott, als wäre er ausschliesslich ein zorniger Gott. Als würde er auf uns Menschen herabblicken und sich furchtbar über uns aufregen. Dass Gott aber seinen eigenen Sohn an einem Holzbalken ersticken liess, nur damit diese Kluft zwischen Gott und uns Menschen überwunden wird, will irgendwie nicht ins Bild passen.

Warum glauben wir an den Zorn Gottes?

Woher kommt diese hartnäckige Annahme, Gott sei ein zorniger Gott? Liest man das Alte Testament, trifft man tatsächlich immer wieder auf den Zorn Gottes. Zum Beispiel bei der Sintflut. Oder bei befohlenen Abschlachtungen der Feinde Israels.

Es steht auch für mich ausser Frage: Gott kann zornig sein. Auch Jesus hatte zornige Momente: Er räumte den Tempel, weil der zu einer Räuberhöhle geworden war. Er benutzte in Diskussionen mit Pharisäern gerne Kraftausdrücke.

Aber was bedeutet der «Zorn Gottes»? Ist es wirklich dieses Wutgefühl, wie wir es kennen? Blick ins Theologielexikon: Der «Zorn Gottes» ist kaum vergleichbar mit dem, was wir Menschen unter dem Begriff verstehen und emotional empfinden. Gottes Zorn ist immer Teil seines Gerichts und daher zwingend gerecht. Gottes Zorn ist NICHT einer von zwei Polen in ihm, von dem der andere die Liebe wäre. Sondern: Gottes Zorn ist Teil seiner Liebe.

Kompliziert, ich weiss. Aber fassen wir es ganz einfach zusammen: Ihre Zorngefühle, verehrte Lesende, haben nichts mit dem Zorn Gottes zu tun. Wenn Ihnen jemand weismachen möchte, Gott sei wütend auf Sie, lügt er.

Jesus Christus sühnt jeden Zorn

Das war vielen prägenden Religionsoberhäuptern im Laufe der Jahrhunderte aber total egal und sie nutzten den «menschlichen Zorn», um damit Gott als zornig und böse darzustellen. Das war und ist superangenehm für die religiösen Oberhäupter, weil sich mit Angst gut regieren und manipulieren lässt.

Wenn ein Mensch verängstigt ist und Gottes Zorn entfliehen will, macht er alles, was man von ihm verlangt. Das wiederum öffnet dem Teufel Tür und Tor: Er treibt die Menschen in eine Religion, die (über)fordert und zerstört. So schade! Niemals können unsere Werke Gottes Zorn sühnen, sondern alleine die Tat von Jesus auf Golgatha.

Wer so leben will, dass Gott nicht mehr zornig auf ihn sein muss, hat das Evangelium nicht kapiert. Etwas Schlimmeres kann einem Menschen nicht passieren. Aber diese mögliche Gefahr ist vielen Christen egal. Hauptsache, keiner meint, Gott sei ein Kumpel-Gott. Das wäre ja das Allerschlimmste! Wirklich?

Hat Gottes Heiligkeit die Israeliten verändert?

Was bringt es den Menschen, wenn sie nur die Heiligkeit Gottes sehen, nur den strengen, allmächtigen Führer? Das Volk Israel war andauernd umgeben von der Heiligkeit Gottes. Ob in Form einer Feuersäule am Himmel oder in Form von unfassbar aufregenden Wundern. Was hat diese Heiligkeit Gottes in den Herzen der Israeliten bewirkt? Freude, Hingabe und Treue? Naja.

Wer nur die Heiligkeit Gottes sieht und den liebevollen Gott gänzlich ausblendet, läuft Gefahr, sich zu unterwerfen. Wieso Gefahr? Sich die ganze Zeit Gott unterwerfen ist doch super? Nein. Gott will natürlich treue Nachfolger, aber er will eben AUCH unsere Freundschaft. Und als Freund darf ich mich nicht unterwerfen, sonst bin ich kein Freund.

Gott ist vielfältiger als wir uns je ausmalen könnten. Seine Heiligkeit ist unendlich reiner und mächtiger, als wir glauben. Aber auch seine Lockerheit, seine Coolness, seine Kreativität, sein Witz, seine Frechheit. Gott ist die mächtigste Macht aller Zeiten und ja, gleichzeitig ist er auch ein guter Freund. Ein liebevoller Vater.

Die Freiheit, umherzuirren

Damit sollten wir klarkommen. Auch wenn gewisse Menschen gerne einem strengen Führer hinterherlaufen. Auch wenn es für sie einfacher wäre, wenn er ihnen jeden Schritt diktieren würde. Aber das tut er nicht. Er gibt uns Freiheit und will, dass wir unseren Weg selbst finden. Auch wenn das bedeutet, dass wir umfallen oder umherirren.

Wer sich das nicht zutraut, traut Gott nicht zu, dass er damit klarkommt. Und das ist ganz traurig. Ein Teufelskreis ist die Folge: Man fühlt sich von der Reinheit Gottes unterdrückt, macht trotzdem Fehler – fällt dann durch alle Maschen, weil man den Zorn des Gerechten fürchtet. Das entmutigt, bindet, macht kraftlos. Und das soll Gottes Wille sein? Dafür hat er seinen Sohn ans Kreuz geschickt?

Gott kann zornig sein, klar. Aber nicht auf uns, sondern auf die Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit, die Jesus jedoch auf sich genommen hat. Gott ist zornig darauf, dass es zum Bruch zwischen ihm und uns kam und genau darum überwand er seinen Zorn, indem er seinen eigenen Sohn dafür ans Kreuz schickte.

Als Jesus für uns starb, stellte er die Brücke zwischen dem unendlich heiligen Gott und den fehlbaren Menschen her. Jesus ist der Adapter zwischen Heiligkeit und Fehlbarkeit. Gottes Zorn trifft uns nicht mehr, weil wir in seinen Augen gerecht sind – durch seinen Sohn.

Zum Autor:
Sam Urech ist 36-jährig, verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam hat viele Jahre beim Blick als Sportjournalist gearbeitet und ist heute Inhaber der Marketing Agentur «ratsam». Er schreibt jeden Freitag auf Nau.ch seine Halleluja-Kolumne.

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Datum: 28.11.2020
Autor: Sam Urech
Quelle: Livenet

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