Macht und Kontrolle über eine eigene Welt

Computerspiele faszinieren
Ein Engel namens Bob

Computerspiele faszinieren vor allem männliche Jugendliche. Sie verleihen dem Spieler Macht und Kontrolle über eine eigene Welt. Längst verarbeiten die Entwickler auch religiöse Elemente in ihren Produkten. Von kampfesfreudigen Engeln über heilende Mönche bis hin zu Affen oder Kühen als Abgesandte Gottes ist den Herstellern nichts heilig. Andererseits: Ein technisch zeitgemässes Spiel, das christliche Inhalte aus seriöser Quelle vermitteln will, existiert noch nicht.

Ein Engelsbübchen mit goldenem Haar und weissen Flügeln rennt und springt durch düster-bedrohliche Gänge. Plötzlich taucht eine Gruppe übel gelaunter Gesellen auf, die aus grosskalibrigen Waffen auf den Kleinen feuern. Das Engelchen hüpft der nächstbesten Gestalt ins Genick, verschmilzt mit ihr, zwingt ihr seinen Willen auf und lässt sie die Gegner erledigen.

Eine Fundgrube für die Entwickler

Eine Szene aus dem Computerspiel ?Messiah?. Die Fachpresse lobte die Idee des besitzergreifenden Engels, die es dem Spieler ermöglicht, im Verlauf des Spiels in viele verschiedene Rollen zu schlüpfen. Sie kritisierte dagegen die unpraktische Steuerung, durch die dem Spiel letztlich der grosse Erfolg versagt blieb.

Trotzdem, religiöse Traditionen sind bei der Konzeption von Computerspielen eine Fundgrube für die Entwickler. Auch Elemente der christlichen Religionsgeschichte sind in manchen Programmen zu finden. In dem erfolgreichen Strategiespiel ?Age of Empires? kommt etwa dem Bau von Klöstern grosse Bedeutung zu. Darin können nämlich Mönche ?produziert? werden, deren Fähigkeiten ? wie das Heilen eigener oder das Bekehren feindlicher Einheiten ? oft entscheidend zum Sieg beitragen.

Bald soll die neue Version von ?Anno 1503? erscheinen, der Nachfolger eines der meistverkauften Computerspiele aus deutscher Produktion. ?Anno? ist eine Mischung aus Städteaufbau- und Handelssimulation. Bemerkenswert: Schon in kleineren Ansiedlungen muss der Spieler zur Zufriedenheit der virtuellen Bewohner eine Kapelle errichten. Ab einer bestimmten Bevölkerungsstufe verlangen die Einwohner nach einer Kirche. Erreicht der Spieler einen noch höheren Status, hat er die einmalige Möglichkeit, eine Kathedrale zu errichten, die sich besonders positiv auf die Bevölkerung auswirkt.

?Age of Empires? wie ?Anno? ist gemeinsam, dass die religiösen Motive als Mittel zum Zweck dienen. Im einen Beispiel unterstützen sie den Ausbau der militärischen Macht, im anderen das Städtewachstum. Die Religion hat keinen unabhängigen Wert, kann ihn im Spielzusammenhang auch gar nicht haben. Denn das Ziel lautet nun einmal ?Werde die grösste Militär- oder Handels- und Wirtschaftsmacht? und nicht ?Erlange ein intensiveres Gottesverhältnis?.

Wenn Designer religiöse Traditionen in ihren Spielen verwerten, handelt es sich meistens um Elemente aus der germanischen oder griechischen Mythologie. So taucht in ?Herrscher des Olymp: Zeus?, ebenfalls einer Städtebausimulation, die gesamte antike griechische Götterwelt auf. Der Spieler muss versuchen, die Götter gnädig zu stimmen und ihre Gunst zu gewinnen. Nur dann stehen sie auf seiner Seite und helfen ihm, eine grosse Stadt aufzubauen und sie gegen Feinde zu schützen.

Spieler übernimmt die Rolle von Gott

Eines der meistprämierten Programme des vergangenen Jahres dreht die Rollenverteilung gerade um: In ?Black & White? wird der Spieler selbst zu einem Gott. Seine Aufgabe ist es, auf einer bunten Drei-D-Inselwelt möglichst viele Gläubige zu gewinnen und so seinen Einflussbereich auszudehnen. Dazu verfügt er über eine für ein PC-Spiel ungeheure Handlungsfreiheit.

Bei jeder der zahlreichen Aufgaben hat der ?Gottspieler? die Wahl, gütig oder grausam zu sein. Kommt er der Bitte einer Farmerin nach und sucht nach ihrem verschwundenen kranken Bruder, um als Dank einen magischen Stein zu erhalten? Oder zertrümmert er das Haus und nimmt sich seinen Tribut mit Gewalt? Lässt er es über den Getreidefeldern der Inselbewohner regnen, damit es wächst und gedeiht? Oder wirft er ein paar Felsbrocken in die Siedlung, um sich Respekt zu verschaffen?

Damit ihm seine Alternativen stets klar sind, stehen dem Weltenlenker zwei Berater zur Seite, der eine in der Form eines kleinen roten Teufels, der das böse Prinzip verkörpert, der andere ein freundlicher alter Mann mit langem weissem Bart, der für das Gute steht. Beide versuchen, den Spieler zu manipulieren und auf ihre Seite zu ziehen.

Weil so ein Gott ganz schön viel zu tun hat und es auf Dauer stressig sein kann, sich um jedes verirrte Schaf oder verdorrte Getreidefeld kümmern zu müssen, kann sich der ?Gottspieler? schon in der Anfangsphase einen Stellvertreter auf Erden aussuchen. Katholisch wird das Spiel dadurch nicht, denn der Stellvertreter ist nicht der Papst, sondern eine gigantische Kreatur, in der Grundversion des Spiels entweder ein Tiger, ein Affe oder eine Kuh.

?Ich wollte endlich mal ein Spiel machen, das die Menschen weder belohnt noch verurteilt, sondern ihnen einfach nur zeigt, wie sie sind?, sagt der britische Designer von ?Black & White?, Peter Molyneux. Auf Dauer bereite es aber gar kein Vergnügen, gemein zu spielen. Denn der gütige Gott bringt durch seine Handlungen eine fröhliche, paradiesische Welt hervor, der grausame eine düstere.

So verbinden sich Ethik und Ästhetik auf spielerische Weise. ?Der Spieler lernt moralische Konsequenzen, die sein Handeln hat?, so Molyneux. Umfragen unter ?Black-&-White?-Fans zeigen, dass die Mehrheit sich tatsächlich für die Rolle des barmherzigen Gottes entscheidet.

Freilich vermittelt das Spiel ein verzerrtes Bild von Glaube und Religion. Glaube entsteht demnach nur aus Angst vor Strafe oder aus Dankbarkeit für übernatürliche Hilfe. Der Glaube der Bewohner ist eine Reaktion auf die sichtbare Durchbrechung der Naturgesetze. Ausserdem bestehen die göttlichen Kräfte im Spiel vor allem aus Zaubersprüchen.

Kirchen verpassen seit Jahren Chancen

Für Matthias Pöhlmann von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin bedeutet das eine ?Reduktion der Religion auf Magie?. Bislang existiert kein Spiel eines grösseren Herstellers, das die biblisch-christliche Tradition zur Grundlage der Spielgeschichte macht.

Zwar erschienen im Brockhaus-Verlag vor einigen Jahren ?interaktive Bibelabenteuer? für Kinder ab vier Jahren (1996 etwa ?Die Geschichte der Arche Noah? und 1997 ?David und Goliath?), doch sind diese Spiele inzwischen vergriffen und Neuauflagen nach Auskunft des Verlages nicht geplant. Die Spiele sind allerdings recht naiv aufbereitet und waren von vornherein nicht für die Masse jugendlicher Computerspieler gedacht.

Man muss sich fragen, ob die Kirchen damit nicht seit Jahren Chancen bei einer für sie ohnehin problematischen Zielgruppe auslassen, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen männlichen Geschlechts. Nach einer Statistik des Verbandes der Unterhaltungssoftware Deutschland wurden allein im ersten Halbjahr 2001 fast 17 Millionen Computerspiele für insgesamt 330 Millionen Euro abgesetzt. Die biblischen Geschichten und christlichen Glaubensinhalte böten reichhaltige Szenarien für ein Computerspiel. Gerade das Adventure-und das Rollenspiel-Genre würden sich für die Umsetzung eines christlich ausgerichteten Computerspiels eignen.

Dabei können die meisten Computerspieler durchaus zwischen der virtuellen und der realen religiösen Erfahrung unterscheiden. Das zeigt etwa das Fazit einer Spielerin, die im Internet auf www.klatschblatt.de ihre Gedanken zum Gott-Spiel ?Black & White? mitteilt: ?Wäre ich der Gott, an den sich die Menschen vertrauensvoll wenden, oder wäre ich der Gott, den die Menschen ängstlich anflehen und vor dem sie umherkriechen? Es ist zwar verlockend, ab und an für ein paar Stunden der Chef über alles, über wirklich alles, zu sein, doch ich bin dankbar, dass dies kein Dauerzustand ist. Ich danke Gott, dass ich nicht in seiner Haut stecke, sondern frohen Herzens und wie mit einem Freund, einem Vater, einer Mutter zu ihm sprechen kann und das auch, wenn mal keine CD im Laufwerk ist.?

Datum: 28.04.2002
Autor: Alexander Ebel
Quelle: Evangelischer Kirchenbote

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