Wissenschaft

Glaube als Trick der Evolution?

Glaube bzw. die Entwicklung von Religion sollen nur Überlebensstrategien der frühen Menschen gewesen sein. Das behaupten jedenfalls die Wissenschaftler Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem Buch. Was ist von dieser und ähnlichen Untersuchungen zu halten?
Carel van Schaik

Carel van Schaik (63) ist Zoologe und Anthropologe an der Universität Zürich. Kai Michel (49) ist Historiker und Literaturwissenschaftler, ebenfalls aus Zürich. Zusammen schrieben sie das Buch «Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät».

Eine neue «Entdeckung»

Die WELT lobte die Autoren: «Ihr Versuch, die Bibel in einer 'biologisch-anthropologisch inspirierten Perspektive' ganz anders als bisher üblich zu lesen, überzeugt durch entschiedenen Mut zu Originalität und Selbstdenken. In zumeist eleganter Sprache wollen die beiden Autoren in den biblischen Texten 'eine verborgene Bibel' entdecken, die 'intime Kenntnisse über die Evolution des Menschen' biete.» Grob vereinfacht behaupten van Schaik und Michel in ihrem Buch, dass sich so etwas wie Glaube entwickeln musste, damit die Menschen den Übergang vom Leben als Jäger und Sammler zu einem sesshaften Dasein und letztlich zum Fortschritt bewältigen konnten. Die Bibel sehen sie als eine Art Tagebuch dieser Entwicklung an. Als Offenbarung Gottes oder Geschichte Gottes mit den Menschen spielt sie bei ihnen keine Rolle.

Regelmässige neue Entdeckungen

Der Ansatz von van Schaik und Michel ist interessant und lesenswert. Eine religiöse Aussage wollen sie laut Vorwort damit nicht treffen: «Uns geht es allein um die Annahme, dass sich aus einem Buch, das über einen so langen Zeitraum hinweg so viele Menschen so vieler unterschiedlicher Kulturen in den Bann gezogen hat, doch essenzielle Aussagen über das Wesen des Menschen gewinnen lassen sollten, wie sie keine andere Quelle zu bieten hat.» Gleichzeitig halten die Autoren fest, dass Theologen bis jetzt noch zu keiner einheitlichen Meinung über die Bibel gekommen wären – und dem setzen sie ihre Interpretation entgegen. Doch natürlich sind sie weder die ersten noch die einzigen, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse so etwas wie die Deutungshoheit über die Bibel beanspruchen. Regelmässig treten echte und Pseudowissenschaftler mit solchem Anspruch auf. In der Ablehnung der Bibel als Gottes Wort sind sie sich einig. Was aber nicht bedeutet, dass sich ihre grundverschiedenen Ansätze irgendwie vereinbaren liessen. Ein Richard Dawkins (als Zoologe übrigens ein Kollege von Carel van Schaik) kommt zu völlig anderen Schlüssen. Offensichtlich beeinflusst eher die Haltung, mit der man der Bibel begegnet, die eigenen Resultate, als es die wissenschaftliche Expertise tut.

Die Zeit der sensationellen Entdeckungen

Tatsächlich gab und gibt es bahnbrechende Entdeckungen aus dem Umfeld der Bibelwissenschaft. Die bekannteste der letzten Jahrzehnte ist dabei sicher der Fund der Qumran-Rollen, deren Auswertung immer noch läuft. Am häufigsten sind allerdings die «sensationellen Enthüllungen», die in der Presse immer kurz vor der Weihnachtszeit von sich reden machen: Jesus sei verheiratet gewesen; man habe jetzt Beweise dafür, dass die Bibel gefälscht sei und Jesus Vegetarier war …

Die meisten dieser sogenannten Sensationen sind nur für eine einzige Schlagzeile gut, bevor sie zu recht wieder im Nirgendwo verschwinden. Wirklich wissenschaftliche Ansätze wie der von Carel van Schaik und Kai Michel haben eine völlig andere Qualität. Ihre Begrenzung liegt darin, dass sie Glaube und Gott auf das reduzieren, was wissenschaftlich nachvollziehbar und messbar ist. So bildet ihre (atheistische) Weltanschauung die Grundlage für ihre wissenschaftlichen Untersuchungen. Kein Wunder, dass ihre Ergebnisse die eigene Haltung bestätigen.

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Datum: 31.10.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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