Gibt es einen Gott?

Schöpfung als ein Akt der Selbstbegrenzung

Auch wenn die Argumente gegen Gottes Existenz widerlegt werden – Gott lässt sich damit nicht beweisen. Trotzdem verdienen ehrliche Sucher eine Antwort. Wir legten die häufigsten Argumente gegen Gott dem Chemiker Felix Ruther vor. Der Studienleiter der Vereinigten Bibelgruppen VBG geht auf Fragen zur Schöpfung, zum Universum und zum Gehirn ein.
Die Schlupfwespe

Magazin INSIST: Felix Ruther, kann Gott ein Gott der Liebe sein, wenn er die Welt durch das brutale Gesetz der Evolution – der natürlichen Auslese mit dem «Gesetz des Stärkeren» – geschaffen hat?
Diese Frage bewegte schon Darwin, als er die Schlupfwespe beobachtete, die sich bis zum Schlüpfen vom lebenden Körper einer Raupe ernährt. Doch offensichtlich kann man die Evolutionstheorie und den Glauben an den biblischen Gott miteinander vereinbaren. Das zeigen zahllose gläubige Biologen, die in der Spitzenforschung tätig sind.

Diese Frage zielt eigentlich auf das Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung. Christen glauben, dass Gottes grundlegende Eigenschaft Liebe ist. Ein solcher Gott ist nicht vereinbar mit einem kosmischen Tyrannen, der jeden Faden der Schöpfung in Händen hält – einer Schöpfung, die in diesem Falle nicht mehr wäre als ein göttliches Marionettentheater. Das Geschenk der Liebe muss dem Beschenkten immer ein angemessenes Mass an Freiheit offen lassen. Der Schöpfungsakt ist zugleich ein Akt göttlicher Selbstbeschränkung. Das ist für mich eine der erhellendsten Erkenntnisse der Theologie. Gott gesteht seinen Geschöpfen zu, sich selbst zu sein und sich selbst zu formen. Somit steht nicht alles, was geschieht, in Einklang mit dem guten göttlichen Willen, obgleich es mit der Erlaubnis Gottes geschieht.

Atheistische Naturwissenschafter wie der Evolutionsbiologe Richard Dawkins erklären die Welt materialistisch. Damit ist für sie die Religion überflüssig. Kann man ausschliessen, dass diese Leute einmal eine Weltformel finden, mit der sie alles erklären können?
Ich denke, dass sich der Mensch mit solchen Ansichten überschätzt. Ein Teil des Universums meint, das ganze Universum begreifen zu können. Dazu müsste der Mensch eigentlich eine Gottesposition einnehmen können. Zudem wäre zu fragen: Was weiss man, wenn man eine «Weltformel» hat? Man weiss immer noch nicht, woher sie kommt und weshalb sie gültig sein soll. Der christliche Denker C.S. Lewis zog in diesem Zusammenhang einen Vergleich mit dem Billardspiel. Es ist ein äusserst komplexes Gebilde, weil man sich in einem chaotischen System befindet, in dem die kleinste Abweichung der Anfangsbedingungen zu ganz anderen Resultaten führt. Deshalb wird man es nie zuverlässig berechnen können. Auch wenn man die genauen Bahnen der Kugeln berechnen könnte, so Lewis, wüsste man immer noch nicht, weshalb die Kugeln da sind und wer sie angestossen hat.

Bei Dawkins müsste man zurückfragen: Erfasst denn die naturwissenschaftliche Beschreibung der Welt die ganze Wirklichkeit? Dawkins Vorstellungen entspringen einem Wunschdenken.

Gehirnforscher argumentieren heute, Religion sei eigentlich nicht mehr als eine Funktion des Gehirns; sie lasse sich aufgrund von Reaktionen in bestimmten Gehirnregionen nachweisen. Damit wäre Religion auch ohne göttliche Realität erklärbar.
Man hat bei Menschen in religiöser Ekstase bestimmte Vorgänge in einigen Hirnbereichen beobachtet, besonders im Temporallappen sowie in der Amygdala und im Hypothalamus5. Der Neurobiologe Michael Persinger soll sogar mit einem umgebauten Motorradhelm, durch den das Gehirn bestimmten elektromagnetischen Feldern ausgesetzt werden konnte, im Labor bei einer Versuchsperson religiöse Erlebnisse hervorgerufen haben.

Wissen wir nun also, dass Gott ein Hirngespinst ist? Gewiss nicht. Die Entdeckungen der Neurotheologie stützen weder die These, dass es einen Gott gibt noch die These, dass Gott ein Hirngespinst ist. Ein Beispiel aus dem Buch «Why God Won’t Go Away» des Radiologen Andrew Newberg veranschaulicht dies. Das Essen eines Apfelstrudels erzeugt gewisse geistige Phänomene, die mit Hirnvorgängen einhergehen und für Neurologen beobachtbar sind. Aber dass es diese Hirnvorgänge gibt und dass sie in bestimmten Bereichen des Hirns stattfinden, heisst natürlich nicht, dass der Apfelstrudel ein Hirngespinst ist. Ebensowenig sagt die Entdeckung, dass Gotteserlebnisse im Temporallappen verortet sind, etwas aus über die Existenz Gottes. Sie ist insbesondere kein Beleg dafür, dass Gott ein Hirngespinst ist, dass es also Gotteserlebnisse gibt, aber keinen Gott.

Dass «Apfelstrudelerlebnisse» auch ohne Apfelstrudel im Labor durch Manipulationen am Gehirn erzeugt werden können, zeigt zwar, dass uns «Apfelstrudelerlebnisse» vorgetäuscht werden können. Es beweist aber nicht, dass sie immer Täuschungen sind. Ebenso kann gesagt werden: Dass religiöse Erlebnisse im Labor durch Manipulationen am Gehirn erzeugt werden können, zeigt zwar, dass uns religiöse Erlebnisse täuschen können, es beweist aber nicht, dass sie immer Täuschungen oder Illusionen sind.

Bei der Beantwortung der Frage, ob Gott existiert, wird uns die Neurologie nicht weiterhelfen können. Denn: Entweder gibt es keinen Gott, dann existiert er weder im Hirn noch sonstwo, auch wenn es mit Gehirnvorgängen einhergehende religiöse Erlebnisse gibt. Oder aber: Es gibt einen Gott. Dann existiert er unabhängig davon, ob er gelegentlich Menschen in religiösen Erlebnissen erscheint, die ihre Spuren in Gehirnvorgängen hinterlassen.

Felix Ruther ist Studienleiter der Vereinigten Bibelgruppen VBG und Präsident des Instituts INSIST

Datum: 23.07.2012
Quelle: Magazin INSIST

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