9 Franken pro Tag

Pfarrer-Ehepaar Moll: «Für uns war die Aktion naheliegend»

Asylsuchende erhalten im Kanton Aargau nur noch 9 Franken pro Tag fürs Essen und persönliche Bedürfnisse. Stefan Moll, Pfarrer der Evangelisch-methodistischen Kirche  (EMK) Baden, protestiert zusammen mit seiner Frau Christine und Gemeindegliedern mit einem Selbstversuch konstruktiv gegen die Kürzung.Livenet: Stefan Moll, Sie sind für innovative Ideen bekannt. Was hat Sie auf diese Idee gebracht? Stefan Moll:
Stefan und Christine Moll

Wir empfinden die Aktion nicht als besonders innovativ, sondern als naheliegend. Zu unserer Gemeinde gehören viele Asylsuchende einfach dazu. So erleben wir die Härte des Asylverfahrens – und oft auch seine Unmenschlichkeit – hautnah. Das Geld ist nur ein Aspekt. Wir wollen besser verstehen, was es bedeutet, während Jahren im Asylverfahren festzustecken.

2018 wurde das Unterhaltsgeld gekürzt – ausgerechnet im Aargau, wo am wenigsten bezahlt wird. Das macht uns wütend, und wir schämen uns für unseren Wohnkanton. Damit spart jeder Einwohner im Kanton maximal Fr. 1.80 im Jahr! Wer Arme bedrängt, missachtet die biblischen Gebote. Der Druck auf benachteiligte Personen und Familien hat im Aargau – und in der ganzen Schweiz ­– zugenommen. Die Verachtung wächst.

Kann man heute in der Schweiz mit diesem Betrag überhaupt leben? Wie sind Ihre ersten Erfahrungen?
Bei der Berechnung haben wir gemerkt, dass nach Abzug von Fixkosten von den neun Franken nur noch sechs Franken für den täglichen Bedarf bleiben. Aber essen geht irgendwie. Doch Integration und soziale Kontakte leiden. Wohnen Asylsuchende auf dem Land, ist der Besuch des Gottesdienstes zu teuer. Zudem wiegen schon kleine Störungen schwer, zum Beispiel wenn es ein Medikament braucht. Besonders schmerzhaft ist die Verachtung, die durch die Kürzung zum Ausdruck gebracht wurde. Manche sind tatsächlich der Meinung, Asylsuchende könnten aus den Mülltonnen leben. 

Welche Reaktionen haben Sie erlebt, als Ihr Selbstversuch auf Tele M1 bekannt wurde?
Neben viel Unterstützung haben sich wütende Schweizer gemeldet. Ich verstehe die grosse Wut jener, die selber in Armut leben. Manche von ihnen haben kaum mehr Geld zur Verfügung. Viele leben isoliert. Die aktuelle soziale Kälte trifft auch sie. In den Kirchen kommen diese Leute kaum vor.

Wie hat Ihre Gemeinde darauf reagiert?
Viele schränken sich in dieser Zeit ein. Es ist eine wichtige Erfahrung. Aber so etwas gehört zu uns: Die EMK betont die verändernde Kraft des Glaubens an Jesus Christus hin zu einer tieferen Liebe zu Gott, den Menschen und der ganze Schöpfung. Daher ist ihre Spiritualität eng mit sozialen Themen verbunden. Nicht nur Einzelne, auch die Schöpfung und die Gesellschaft brauchen Erlösung. Das heisst auch: mehr soziale Gerechtigkeit.

Können Sie sich vorstellen, dass dieser Selbstversuch nachhaltige Folgen für Sie und die Gemeinde hat?
Die Folgen sind schon jetzt greifbar. Wir konnten bisher einkaufen, ohne zu rechnen. Den genügsamen Lebensstil empfinden wir auch als Bereicherung. Wir lernen, uns einzufühlen in die Situation anderer. Wir wussten nicht, wie sehr man sich für Armut schämt. Dabei machen wir das freiwillig und nur für 40 Tage. Der Selbstversuch verändert uns.

Gleichzeitig lernen wir, wie entscheidend Teilhabe ist: alle, wirklich alle, sollen dazugehören. Das ist der Kernauftrag der Kirche: Inklusion. Die Armut der einen darf uns so wenig trennen wie der Reichtum der anderen.

Unter www.emk-baden.ch kann das Tagebuch der Aktion «9 Stutz pro Tag» und die Berechnung samt Hintergrundinformationen heruntergeladen werden.

 

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Datum: 12.03.2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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