Versöhnung

«Es braucht drei Jahre, bis eine neue Atmosphäre da ist»

In der Kirche erwartet man Harmonie – und dann schlagen Konflikte auf die Stimmung. Ein Neuanfang ist möglich, wenn daraufhin gearbeitet wird. Was es zur Lösung braucht, weiss der Pfarrer und Berater Karl Flückiger aus eigener Erfahrung. Das Gespräch wurde im Hinblick auf die Tagung «frei werden – versöhnen – beichten» des Landeskirchenforums LKF geführt.
Pfarrer Karl Flückiger

«frei werden – versöhnen – beichten» ist das Thema der LKF-Tagung am 15.03.2014 in Frauenfeld. Es geht also darum, Beziehungen wiederherzustellen oder darum zu ringen: Was kann man dafür tun – und was kann man nicht leisten, weil es von oben her geschehen muss?
Karl Flückiger:
Beides gehört dazu. Es geht nicht ohne Gebet. Ich denke, es braucht Gebetsunterstützung, ob allein gemacht oder organisiert, ob in der Fürbitte im Gottesdienst oder in einer Gebetsgruppe. Die Form ist zweitrangig; es darf, aber muss nicht von einem bestimmten Frömmigkeitsstil geprägt sein. Aber die Bitte darum, dass Gottes Reich kommt und wächst, ist notwendig. Gott ist ja auch in der dunkelsten Ecke. Wo es am verrücktesten ist, da zieht es Gott hin, es scheint, als ob es Gott ganz wohl ist im Konflikt.

Das ist Ihre Erfahrung?
Das ist meine Überzeugung. Dort will er hin. Wo alle anderen fortlaufen, da geht er hin. Wo alle anderen die Hände verwerfen, dort ist er präsent. Wo alle sagen, das ist nicht mehr Kirche, da ist Gott. Manche Leute finden, wenn gestritten wird, sei es nicht mehr Kirche. Man erwartet in der Kirche Harmonie, gutes Essen, dass man der Seele wohl tut – und einander ja nicht zu nahe kommt. Man darf gewiss erwarten, dass Gott nährt, gerade im Streit.

Wie kann ich persönlich konstruktiv mit einem Konflikt umgehen?
Da spielt das biblische Gebot eine wichtige Rolle: «Segnet, die euch fluchen!» Das ist täglich, ja stündlich zu üben, wenn du im Konflikt steckst. Sonst schaukelst du dich ständig hoch, der Krampf hält an. Die Last ist sonst schon gross genug. Es braucht dieses Segnen – nicht nur als Hygiene für dich, sondern um den Status aufrechtzuerhalten und das Aufschaukeln nicht mitzumachen.

Wenn man das aushält und durchhält, kommt dann auch der Segen, eine Wende. Nach meiner Erfahrung braucht es drei Jahre, bis eine neue Atmosphäre da ist – wenn du intensiv daran arbeitest.

Konflikte gab es schon immer. Fällt es uns heute in den Kirchen schwerer zu sagen: «Es tut mir leid»?
Hier gibt es in den einzelnen Denominationen grosse Unterschiede. Wir haben sehr gute Beziehungen zu den Katholiken. In jeder Messe wird «unsere Schuld, unsere übergrosse Schuld» von allen bekannt. Uns Reformierten fehlt das. Wir haben die Busse, die eigentlich zu jedem Gottesdienst gehört, aus unserer Agenda gestrichen. Das Schuldbekenntnis wird nicht mehr gesprochen. Über Schuld redet man nicht, nicht mal im Gottesdienst. Die geistliche Haltung, die sich darin zeigt: Wir sind dran, wir machen es richtig, der Heilige Geist ist ja da – für was «de no grüble»? Auch in der Abendmahlsliturgie fällt das Reden von Schuld meistens weg. Bekanntlich haben wir die höchste Psychiaterdichte der Welt – das gibt mir zu denken. Vor einigen Jahrzehnten zeigte eine Statistik in reformierten Kantonen viel mehr Einweisungen in die Psychiatrie als in katholischen Gebieten. Man führte das damals zurück auf die Beichte, welche die Seele reinigt.

Ein gemeinsames Schuldbekenntnis im Gottesdienst – Prävention gegen Verhärtungen?
Ja. Es geht nicht darum, Konflikte zu vermeiden, sondern in den Stand zu setzen, dass wir gut durch Konflikte hindurchgehen. Im weiteren Zusammenhang ist zu fragen, wie Seelsorge geschieht. Sie ist, von den Kasualien abgesehen, in den meisten Pfarrämtern an einem kleinen Ort. Einzelne Gemeinden geben ihr Raum; man kommt mit Belastendem ins Pfarrhaus und kann es aussprechen. Nach meiner Erfahrung hat eher der Diakon seelsorgerliche Gespräche als der Pfarrer.

Karl Flückiger, bei allen Konflikten, die Sie mitbekommen haben, machen Sie Mut.
Ja. Der Konflikt gehört zum Alltag. Er ist eine Chance, die Gott den Menschen schenkt. Dann kann die Tiefe des Christseins erlebt werden wie sonst nicht. Wenn alles nach Wunsch läuft, am Sonntag, kommt man nicht an Grenzen. Wie gehe ich ins Gebet für eine Gemeinde, in der es nicht mehr gut läuft? Rückzug, Schmollen, den Bettel hinschmeissen – mit welcher Kraft stehe ich die Spannung denn durch? Vielleicht braucht es auch einen Anteil trotziger Kraft, aber sie genügt nicht. Es braucht eine gestaltende Kraft, dass ich neu hoffe, jetzt passiert das Reich Gottes, jetzt kommt er zum Zug. Geduld gehört dazu – und die Erwartung, dass es in drei Jahren anders sein wird.

Datum: 15.03.2014
Autor: Peter Schmid
Quelle: Landeskirchenforum

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung