Aus soziologischer Sicht

Warum Pfingstgemeinden wachsen

Evangelische und katholische Kirche haben sich im europäischen Kontext bereits daran gewöhnt, dass sie nicht mehr wachsen, sondern signifikant Mitglieder verlieren. Die meisten Freikirchen stagnieren. Zulegen tun in erster Linie pfingstlich-charismatische Gemeinden. Ed Stetzer sagt aus soziologischer Sicht, warum das so ist.
Ein Gottesdienst in einer Freikirche
Ed Stetzer
Hauke Burgarth

In weiten Teilen der (westlichen) Welt scheint Gemeindewachstum hauptsächlich durch die Pfingstbewegung stattzufinden. Aber wie wachsen sie gegen den Trend? Selber betonen sie gern, dass Gottes Geist eben grosse Dinge tut. Aber neben dieser geistlichen Basis, die sich weder beschreiben noch widerlegen lässt, spielen für den Missiologen Ed Stetzer auch soziologische Aspekte eine wichtige Rolle. Er erklärt das Wachstum in charismatischen und pfingstlichen Gemeinden im Vergleich zu «normalen» evangelikalen Gemeinden folgendermassen:

1. Pfingstler schätzen ihre gemeinsamen Erfahrungen

Rein statistisch neigen Pfingstler weniger zu Namenschristentum als andere Gläubige. Der Grund liegt auf der Hand: Ihre Erfahrungen bei der sogenannten Geistestaufe. Nachdem Menschen Zeichen wie zum Beispiel die Zungenrede erlebt haben, fällt es ihnen viel schwerer zu sagen: «Ich nehme das Ganze nicht mehr ernst. Ich weiss nicht, ob da überhaupt etwas passiert ist.» Solche Erfahrungen helfen dabei, den Glauben neu auszurichten.

Als evangelischer Christ oder klassischer Freikirchler erlebt man viel weniger einschneidende Ereignisse, die die eigene geistliche Entwicklung kennzeichnen. Glaubensleben in Pfingstgemeinden ist dagegen von ständigem Engagement geprägt, das den Glauben festigt. Stagnation ist in diesem «geisterfüllten» Umfeld kaum möglich. Wer sich Entwicklung und Wachstum wünscht, findet hier ein Zuhause. Rein nominelle Christen suchen ihr geistliches Zuhause in anderen, eher schrumpfenden Gemeinschaften.

2. Pfingstler wollen ihre Werte weitergeben

Die Erfahrungen von Pfingstlern in ihren Gemeinden sorgen nicht nur intern für ein Wachstumsklima, sondern genauso nach aussen. Meist haben sie ein starkes Interesse daran, dass andere die gleichen geistlichen Erfahrungen machen wie sie selbst. Strategische Gemeindegründung ist in diesem Kontext ein hoher Wert – wobei es kaum eine Rolle spielt, dass im Umfeld einer zu gründenden Gemeinde bereits sechs Kirchen sind, weil sie ja eine besonders geisterfüllte gründen wollen. Kein Wunder, dass Pfingstgemeinden missionarisch weltweit aktiv sind. Und längst nicht nur dort, wo bereits andere Gemeinden existieren!

3. Pfingstler sind überzeugt von ihrer Erfahrung der Geisterfüllung

Sie haben Erfahrungen mit Gott gemacht, ihr geistliches Leben hat stark davon profitiert, und sie denken, dass das jeder wissen sollte. Während man sich in anderen Gemeinden Gedanken darüber macht, wie man Wachstum generieren kann, leben Pfingstler begeistert ihren Glauben und wachsen einfach. Dieses Ergebnis erzielt übrigens jeder, der von seiner Einstellung überzeugt ist, ob Pfingstler, Baptist oder Calvinist.

Was bedeutet das für andere Gemeinden?

Ein Schlüssel zum Wachstum ist die Überzeugung, dass das eigene Angebot so wichtig ist, dass es unbedingt bekanntgemacht werden muss. Aus diesem Grund explodierte die Vineyard Gemeinde in den 1980er Jahren. Sie glaubten, dass die ganze Welt erfahren müsste, was sie anzubieten hatten. Dasselbe galt für die Baptisten in den 50-er Jahren. Oder für die Methodisten während der grossen Erweckungsbewegung in den USA im 18. Jahrhundert. Heute sind es die Pfingstler, die glauben, dass sie etwas haben, dass es wert ist weiterzugeben. Und davon kann man lernen.

Seltsame Unterschiede

Für viele Nicht-Pfingstler erscheint dies seltsam. Manchen klingt es zu übernatürlich. Bei aller teilweise berechtigten theologischen Kritik muss man hier von soziologischer Seite einwerfen: Vorsicht – nie das herabwürdigen, was die Kraft einer Bewegung ausmacht.

Sie stören sich an einzelnen Ausdrucksformen? Einverstanden, aber die Pfingstler haben ein Herz für verlorene Menschen und wollen Gottes Reich bauen. Was sie von anderen unterscheidet, behindert ihr Wachstum nicht, sondern fördert es noch.

Menschen suchen Glauben mit Geschmack

Eine der heutigen Gefahren liegt in einem faden «Einheitsevangelikalismus». Viele Kirchen und Gemeinden stagnieren oder schrumpfen. Etliche wollen daher abstellen, was sie von anderen unterscheidet, sich anpassen, um Akzeptanz zu finden. Das kann nicht funktionieren.

Der Unterschied zwischen einer wachsenden Bewegung und einer auf dem Rückzug ist oft der Umgang mit ihren Besonderheiten. Manche geraten so stark in den Beschützer-Modus, dass sie ihre Eigenarten praktisch zudecken. Andere akzeptieren und feiern ihre Besonderheit und werden gerade dadurch attraktiv für Menschen, die mehr als Farblosigkeit suchen.

Die Gemeinsamkeit von schrumpfende Gemeinden ist, dass sie meistens zum Mainstream gehören, etliche sind evangelikal geprägt, aber die meisten sind einfach nicht so begeistert von dem, was sie glauben – und reden deshalb auch nicht so viel davon – wie die Pfingstler.

Datum: 20.11.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Christianity Today

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