Unterwegs beten lernen

Gebetstraditionen der Welt – ein Selbstversuch

Im Laufe der letzten 12 Monate reiste Jared Brock 60'000 Kilometer weit auf der Suche nach den Gebetstraditionen der Welt. Der US-amerikanische Autor hatte vorher eine Reportage über Menschenhandel geschrieben. Tief betroffen wollte er ihm am liebsten ein Ende setzen – und wünschte sich deshalb, vollmächtiger beten zu können. So entstand die Idee zu seiner Pilgerreise.
Betende Frau in Asien
Jared Brock

Inzwischen ist es mehr als ein Rückblick auf eine interessante Weltreise zusammen mit seiner Frau. Brock hat seine teils schönen, teils seltsamen Erfahrungen in Sachen Gebet auf seiner Webseite beschrieben und ein Buch dazu veröffentlicht: «A year of living prayerfully» (Ein Jahr voller Gebet). Darin spielen unter anderem folgende Orte und Gebetsarten eine Rolle:

New York – Gemeinsames Gebet

Im New Yorker Stadtteil Brooklyn feierte Brock mit ultraorthodoxen Juden das Passahfest. Es begann mit der Einladung zum Seder-Mahl, das immerhin bis Mitternacht dauerte. Während des Essens erklärte ihm der Rabbi die jüdische Tradition des Minjan-Gebets: «Wenn zehn Personen in einem Raum zusammen beten, ist dies ein Minjan.» Dabei geht es allerdings um mehr als die notwendige Mindestanzahl von Männern, um einen Gottesdienst abhalten zu können. «Wir sind füreinander da. Wir beten nicht nur zusammen, wir helfen uns ganz praktisch dabei, eine Arbeit oder eine Wohnung zu finden, uns selbstständig zu machen und so weiter. Jeder hilft jedem.»

Israel – Gebet für Frieden

In Jerusalem bedrückten das Paar die Spannungen in der Altstadt. Sie folgten der Tradition, ein Gebet auf einen Zettel zu schreiben und diesen in die Ritzen der Klagemauer zu stecken. Monatlich werden diese Gebete eingesammelt und auf dem Ölberg begraben – dadurch werden sie zu sogenannten «ewigen Gebeten». Brock schrieb das kürzeste Gebet auf, das ihm einfiel: «Schalom». Denn Frieden, Ruhe, Heilung und Sicherheit wünschte er sich für den gesamten Nahen Osten – und für sich selbst.

Griechenland – Beten ohne Unterlass

Athos besuchte Brock ohne seine Frau – die Mönche lassen noch nicht einmal weibliche Tiere auf der Insel zu. Der «Heilige Berg» in der Ägäis gehört zu den ältesten Anbetungsstätten der Menschheit. In den griechisch-orthodoxen Klöstern lernte er das Jesus- oder Herzensgebet kennen. Die Mönche praktizieren es, indem sie zum Beispiel beim Ein- und Ausatmen wiederholen: «Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich.» Die Idee dahinter ist, dass jeder Atemzug ein Gebet wird und man dadurch ohne Unterlass betet. Brock fand den Gedanken interessant, regelmässige, alltägliche Dinge zum Gebet zu machen: Zum Beispiel beim Duschen über Reinheit nachdenken oder beim Anziehen die geistliche Waffenrüstung anlegen.

Rom – Das 5-Finger-Gebet

Relativ spontan erhielten Jared und Michelle Brock bei einem Abendessen im Vatikan die Einladung zu einer Papstaudienz. Dort lernte er das von Franziskus propagierte 5-Finger-Gebet kennen. Dabei erinnern die Finger der Hand an verschiedene Anliegen: Der Daumen ist uns am nächsten, er steht für Freunde und Familie. Der Zeigefinger repräsentiert Lehrer, Erzieher und Leiter, der Mittelfinger mit seiner Länge Obrigkeit und Führungskräfte. Der schwache Ringfinger steht für die Schwachen und Unterdrückten und der kleine Finger erinnert uns daran, für uns selbst zu beten.

Spanien – Das Pilgergebet

Nachdem er am selben Tag auf dem Meer knapp einem Zyklon und am Berg einem Schneesturm entgangen war, traf Brock auf dem berühmten Jakobsweg nach Santiago de Compostela einen Winterpilger. Dieser erklärte ihm seine aktive Art, unterwegs zu beten. Gebet ist ja nicht an Kirchengebäude und Routine gebunden, es ist gelebte Beziehung – und kann uns unterwegs beim Wandern, Gehen, Joggen oder Bergsteigen begleiten.

Frankreich – Alltagsgebete

Vor langer Zeit versuchte Bruder Lorenz als Mönch Gottes Gegenwart zu erleben, während er Geschirr spülte und Essen zubereitete. Er wurde so berühmt für seine Alltagsgebete, dass andere ein Buch darüber schrieben, welches seit 300 Jahren ohne Unterbrechung nachgedruckt wird. Brock suchte und fand die Küche von Bruder Lorenz und hielt fest: «Wir können Gemeinschaft mit Gott in der Natur haben, während wir lachen oder Musik machen, lesen, spülen oder kochen. Wir können überall und zu jeder Zeit beten. Alltägliche Momente werden heilig und bedeutungsvoll, wenn sie von Gebet durchdrungen sind.»

Nordkorea – Singen und Beten

Brock feierte Neujahr in Nordkorea, obwohl es dort nicht viel zu feiern gab. Über eine Million Menschen verhungerten während der letzten 30 Jahre, und über 50'000 Christen werden in Konzentrationslagern gefangen gehalten. Nachdem er sich geweigert hatte, sich im Mausoleum vor den ausgestellten Leichen der ehemaligen Führer zu verbeugen, war Brock so betroffen von der Not der Menschen, dass er sein Hotelzimmer aufriss und für Pjöngjang und das Land beten wollte – doch ihm fehlten die Worte. Deshalb sang er Lieder, die ihm in den Sinn kamen, und betete damit.

Maryland – Beten ohne Worte

In Maryland besuchten Jared und Michelle Brock ein Versammlungshaus der Quäker, die älteste Kirche Nordamerikas. Dort versammeln sich immer noch Christen und sie haben eine wunderbare Gebetstradition: «Ins Licht halten». Brock beschreibt es folgendermassen: «Stell dir vor, du hast lange für jemanden gebetet und dir fallen einfach keine neuen Aspekte mehr ein. Dann halten Quäker solch eine Person einfach ins Licht der Gnade Gottes und sagen 'Gott, mir fehlen die Worte. Hilf mir, ihn zu sehen, wie du ihn siehst; ihn zu lieben, wie du ihn liebst. Und tu bitte das, was nur du allein tun kannst'.»

Wieder zu Hause

Am Ende seiner Gebetsreise durch die Welt stoppte Brock in England, um den Ort aufzusuchen, an dem sein Ururgrossvater zuerst Gottes Ruf zu seinem lebenslangen Abenteuer im Dienst anderer gehört hatte. Von hier aus war er mit Hudson Taylor als Missionar nach China gegangen. Dort gelobte Brock, die Tradition von Gebet und Aktion zu pflegen, diese Welt zu einem liebevolleren, gnädigen, gerechten Ort zu machen. Denn dies ist die eigentliche Kraft des Gebets: Es ändert nicht nur die Welt um uns herum, es ändert genauso uns auf unserer Reise.

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Datum: 20.05.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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