Ewig, Ewigkeit

Das griechische Hauptwort »Äon« bedeutet Zeitlauf oder Weltlauf

Für Ewigkeit steht im griechischen Text aion (siehe »Welt«); für ewig: aiónios. Äon bedeutet nicht endlose Dauer, sondern Zeitalter, Zeitlauf. Es wird, wenn von einem Zeitlauf die Rede ist, auch immer an die besondere Art und Prägung, an die eigentümlichen Zustände, an die Bestimmung dieses Zeitlaufs gedacht.

Das Neue Testament unterscheidet wie schon die alte prophetische Überlieferung zwischen diesem Äon (Zeitlauf, die Weltzustände) und dem kommenden Äon. Dieser Äon hat sein Gepräge durch die in ihm herrschenden finsteren Mächte, durch die dämonischen Züge seines Gesichts, durch die fortschreitende Entgöttlichung seiner Zustände. Der kommende Äon bringt die Zustände der ersten gottnahen Schöpfung wieder; in ihm ist die Herrschaft der Finsternismächte beseitigt; die Gottesherrschaft bestimmt und gestaltet alle Dinge.

Für Ewigkeit ist oft zu lesen: der neue göttliche Weltlauf

Auf diesen kommenden Zeitlauf sind im Neuen Testament alle Augen gerichtet. Darum wird er auch einfach »der« Äon genannt. »Die Welt vergeht mit ihrer Lust. Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt bis in den Äon hinein«, also: bis in den neuen göttlichen Zeitlauf hinein; Luther übersetzt: in Ewigkeit (1. Joh. 2,17). »Des Herrn Wort bleibt bis in den Äon« (1. Petr. 1,25). Jesus sagt: »Wer von diesem Brot isst, der wird leben bis in den neuen Weltlauf hinein« (leben in Ewigkeit«, Joh. 6,51).

Weil man gemeinhin unter dem Äon den nächsten göttlichen, von Christus heraufgeführten Äon versteht, bedeutet aiónios (ewig) das, was aus diesem neuen Zeitlauf stammt, was zu ihm gehört, was durch seine Art und Richtung bestimmt ist.

Ewiges Leben bedeutet im Neuen Testament durchweg: das Leben des kommenden Zeitlaufes. Also ein Leben, das wieder so gottnah und gottbestimmt ist wie das der ersten Schöpfung; ein Leben, das, wie alle Zustände des neuen Äons, göttlich inspiriert und geformt ist. »... damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben«, das bedeutet, dass sie teilhaben an dem göttlichen Lebensreichtum des neuen Zeitlaufs (Joh. 3,15).

Ewiges Leben ist Vorwegnahme des kommenden Äons inmitten dieser Weltzustände

Wenn Jesus sagt: »Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben« , dann heisst dies: Wer ihm verbunden ist, der hat schon hier in diesen Weltzuständen ein derartiges Leben, wie der neue Weltlauf es bringt (Joh. 6,40.47; 3,36).

Ewige Herrlichkeit bedeutet der Glanz, die Hoheit, die dem kommenden Äon eigen ist (2. Tim. 2,10). Das ewige Reich ist das Reich des neuen Weltlaufs (2. Petr. 1,11). Ewige Seligkeit bedeutet das Heil des kommenden Zeitalters (Hebr. 5,9). Ewiges Gericht bedeutet das Gericht, das über die Menschheit ergeht beim Eintritt des kommenden Zeitlaufs (Mark. 3,29). Ewiges Feuer, ewige Pein (Matth. 3,12; 25,41-46) bedeutet die Pein, die im kommenden Zeitlauf die leiden werden, denen sie im Weltgericht zugesprochen ist.

Im Neuen Testament ist der Blick zunächst ganz auf den kommenden Äon gerichtet, den Christus bringt. Alles, was mit diesem kommenden Äon zusammenhängt, heisst in der Lutherübersetzung »ewig« (zum Äon gehörig).

An vielen Stellen im Neuen Testament wird aiónios auch im übertragenen Sinne (verallgemeinert) gebraucht: göttlich-unvergänglich, zum Beispiel 2. Kor. 4,17. 18; Joh. 4,14; Joh. 3,36; 2. Thess. 2,16. Da das Alte Testament hebräisch geschrieben ist, ist die Grundbedeutung »ewig« eine göttliche Eigenschaft im Sinn der Erhabenheit über die Zeit und bedeutet unvergänglich (Hos. 2,21; Jes. 40,8; Matth. 6,13). Eine »zeiträumliche« Gnade, ein »zeiträumlich« gültiges Gotteswort wäre nach der Gesamtschau der Bibel zu wenig.

Das Neue Testament gibt den Ausblick auf eine Folge von Zeitläufen

Das Neue Testament sieht aber nicht nur das eine kommende Zeitalter, sondern eine ganze Folge oder Fülle von Zeitläufen.

Das Wort Äon steht oft in der Mehrzahl. So heisst es am Schluss des Vaterunsers: »Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in alle Zeitläufe hinein« (Matth. 6,13). Diesen Ruf der Anbetung finden wir oft bei Paulus: »... dem Schöpfer, der zu loben ist in alle Zeitalter« (Röm. 1,25; 9,5; 11,36). Am Anfang von Psalm 90 steht: »... ehe die Berge wurden ..., bist du, Gott, von Zeitlauf zu Zeitlauf« (von Ewigkeit zu Ewigkeit). Ähnlich wird oft im Neuen Testament gesagt: »in die Zeitläufe der Zeitläufe« (Luther: in Ewigkeit -  Röm. 16,27; Gal. 1,5; 2. Petr. 2,17; Hebr. 1,8; Offb. 1,18 und oft).

Der kommende Äon, den Christus bringt bei seiner Wiederkunft, ist nicht der letzte. Ein Zeitlauf ist eben ein Zeitlauf und hört einmal auf. Das Neue Testament spricht ausdrücklich vom Ende des kommenden Äons. Ein Zeitalter geht dann zu Ende, wenn seine Aufgabe erfüllt ist. Der kommende Zeitlauf hat eine ganz bestimmte Aufgabe: »Christus muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füsse legt« (1. Kor. 15,25). Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, kommt das Ende jenes Zeitlaufs (1. Kor. 15,24).

Christus gibt die Herrschaft zurück in die Hände des Vaters, und er, der Vater, wird alles in allem sein. Mit dem Ende des kommenden Zeitlaufs ist auch das Böse ein für allemal zu Ende. Die nun folgenden Zeitläufe werden bis ins Letzte göttlich bestimmt sein.

Die Ewigkeit ist ein göttlich gegliederter Geschichtslauf immer neu gestaltet aus dem Reichtum des Schöpfers

Für das Neue Testament ist die Ewigkeit nicht ein endlos gleichförmiger, ungegliederter Ablauf des Geschehens, sondern eine reich gegliederte, immer neu gestaltete Geschichte: auch die Zeitläufe haben ihre Zeitläufe mit ihren besonderen Aufgaben (»die Zeitalter der Zeitalter«).

Jedes Zeitalter hat seine bestimmte einzigartige Aufgabe, sein Gesicht und seinen Reichtum; unerschöpflich bricht das hervor aus den Tiefen der Gottheit und wiederholt sich nie. Was dann noch alles sein mag? Danach brauchen wir nicht zu fragen. Die göttliche Weisheit in den Zeitläufen ist im Neuen Testament nicht Gegenstand der Neugier, sondern Gegenstand der Anbetung.

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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