Fussabtreter? Nein, danke!

Kreative Wege zu einem gewaltfreien Widerstand

Es ist keine Überraschung: Die Welt ist voller Ungerechtigkeit. Sei es persönliche oder gesellschaftliche. Wenn Christen damit konfrontiert werden, scheint es zwei Möglichkeiten zu geben: zurückschlagen oder sich zum Fussabtreter machen lassen und leiden. Doch es gibt auch einen dritten Weg. US-Friedensforscher und Theologe Walter Wink zeigt ihn in seinem Buch auf.
Walter Wink

Wenige Äusserungen von Jesus werden gleichzeitig so bewundert und ins Reich der Unmöglichkeit abgeschoben, wie sein «liebet eure Feinde». Wer versucht, als Christ seinen eigenen Weg zu finden, wie er mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt umgehen kann, der scheint nur die Wahl zwischen Stärke und Schwäche zu haben. Entweder akzeptiert man persönliche oder gesellschaftliche Übergriffe als übermächtig und «gegeben». Dann begibt man sich als «kleine Herde» in Opferhaltung: Willkommen als Fussabtreter der Gesellschaft. Oder man handelt, bezieht Position und zieht dafür auch schon einmal das Schwert wie die Jünger von Jesus, als sie ihn verteidigen wollten.

Zwei Sackgassen und der dritte Weg

Der US-Friedensforscher und Theologe Walter Wink zeigt in seinem lesenswerten Buch «Die Verwandlung der Mächte» noch einen dritten Weg auf. Reine Duldung entlarvt er als das, was sie ist: Schwäche und Resignation. Kämpferischen Aktionen wirft er dagegen vor, dem «Mythos der erlösenden Gewalt» zu erliegen. Platt gesagt beinhaltet dieser, dass man eben ab und zu draufhauen muss, um am Ende Frieden zu erhalten. Was sich in dieser Verkürzung fast lächerlich anhört, steckt als Denkmuster hinter jedem Superhelden-Comic, aber genauso hinter der politischen Haltung dem sogenannten Islamischen Staat gegenüber.

Wink betrachtet Jesus und seine Bergpredigt. Und er entdeckt darin einen weiteren, einen dritten Weg. Darin geht es nicht um Gewalt, sondern darum, den Ungerechten durch Gebet zu verändern und durch provozierende Liebe zu verwandeln. Jesus unterstreicht dies mit drei eingängigen Bildern.

Die andere Wange

«Leistet keine Gegenwehr, wenn man euch Böses antut! Wenn jemand dich auf deine rechte Wange schlägt, dann halte die andere Wange auch noch hin!» Dazu fordert Jesus uns in Matthäus, Kapitel 5, Vers 39 auf.

Viele der Zuhörer von Jesus waren selbst geschlagene Diener. Sie wussten, wovon er sprach. Es geht in diesem Beispiel nicht um eine Prügelei, sondern um Entehrung und Unterwerfung. Ein Herr schlug seinen Sklaven mit dem (rechten) Handrücken auf die rechte Wange, um ihn in die Schranken zu weisen. Wenn nun der so Geschlagene auch noch die andere Wange anbietet, sagt er damit: «Du kannst mich schlagen, aber ich lasse mich von dir nicht entehren. Du musst mich schon wie Deinesgleichen behandeln.» Wenn der Herrschende jetzt weitermacht, verliert er vor sich selbst und seiner Umgebung das Gesicht. Sein Untergebener hat ihm ohne jede Gewaltanwendung gezeigt, dass er nicht mehr länger Opfer ist.

Der abgegebene Mantel

In der Fortsetzung benutzt Jesus das Bild einer Gerichtsverhandlung (Matthäus, Kapitel 5, Vers 40): «Wenn einer dich vor Gericht bringen will, um dein Hemd zu bekommen, so lass ihm auch noch den Mantel!»

Schuldknechtschaft war damals weit verbreitet. Immer wieder wurden Ärmere vor Gericht gezogen und dort gepfändet. Allerdings gab es dafür im mosaischen Gesetz Grenzen. Der Mantel, der tagsüber als Kleidung und nachts als Decke diente, war deshalb nicht dauerhaft pfändbar (5. Mose, Kapitel 24, Verse 10-13). Wenn ein Angeklagter ihn nun trotzdem abgab, beschämte er durch seine Nacktheit den Kläger, setzte ihn ins Unrecht und provozierte ihn «vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, die Folgen seiner Handlung zu erkennen und zu bereuen» (Wink).

Die zweite Meile

Das letzte Beispiel schlägt in die gleiche Kerbe: «Und wenn einer von dir verlangt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei Meilen mit ihm!» (Matthäus, Kapitel 5, Vers 41).

Seine damaligen Zuhörer verstanden Jesus sofort. Etliche mussten sicher lachen, wenn sie daran dachten, dies einmal auszuprobieren. Die römischen Besatzer hatten das Recht, jeden x-beliebigen Passanten auf der Strasse anzuhalten und sich das Gepäck von ihm tragen zu lassen. Eine Meile lang. Dann war der Passant wieder frei. Wollte der Soldat ihn zu mehr zwingen, hatte das disziplinarische Folgen für ihn – und die römische Armee war auch den eigenen Leuten gegenüber nicht zimperlich. Wenn ein Jude also eine Meile weit unter seiner Last schwitzte, dann geriet der Soldat genau dann ins Schwitzen, wenn die Meile erreicht war – und der Mann einfach weiterlief, lächelnd. Plötzlich lag der Druck auf dem Unterdrücker, und er musste sein Opfer bitten aufzuhören. Was für eine Umkehr der Umstände. Und wieder verlässt ein Mensch seine Opferhaltung und ein anderer wird dazu herausgefordert, sein Handeln zu hinterfragen.

Ja, aber?

Die normale Reaktion auf den «dritten Weg», auf provozierende Liebe, die sich gegen Ungerechtigkeiten auflehnt, ist: ja, aber… Und dann kommt eine Erklärung, warum man zwar im Allgemeinen nichts gegen die Bergpredigt habe, aber das Konzept im eigenen, ganz besonderen Fall eben doch nicht zu verwirklichen sei.

Tatsache ist, dass das Gehen dieses dritten Weges Mut erfordert, und man nach kreativen Lösungen suchen muss, die nicht unbedingt auf der Hand liegen. Weder in gesellschaftlicher noch in persönlicher Perspektive wird es ein billiger Weg sein. Aber die Folgen sind ganz andere als in einem Gewaltkreislauf aus Kampf, Sieg und Niederlage, Auflehnung und erneutem Kampf. «Jesus Lehre der Gewaltfreiheit vermittelt eine Ahnung davon, wie man ein ganzes System angreifen kann, indem man die dahinterstehende Grausamkeit aufdeckt und die angemasste Gerechtigkeit verspottet» (Wink). Das höchste Ziel ist allerdings nicht dieses Verspotten, sondern das Gewinnen des Gegenübers und nicht nur des Streits. Dann kommt es tatsächlich zu einer «Verwandlung der Mächte».

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Datum: 16.05.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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