Der ältere Sohn

Warum hast du deinen Bruder nie gesucht?

Wir beklagen den postmodern-neuheidnischen Zustand Europas und wissen, dass Europa dringend durchevangelisiert werden müsste. Dabei sind wir beständig auf der Suche nach den Gottesdienst-, Gemeinde- und Evangelisationsformen, die den Durchbruch bringen. Aber irgendwie bleibt das schale Gefühl zurück, dass sich das alles eher wie ein missionarischer «Krampf» anfühlt. Abgesehen davon, dass sich noch keinerlei robuste Veränderung der moralisch-geistlichen Grosswetterlage abzeichnet. Im Gegenteil, Klimawandel spielt sich woanders ab.
Das Gespräch suchen: Christen sind aufgefordert, ihren «verlorenen Brüdern» nachzugehen.

Könnte das Ganze vielleicht mit uns selbst zu tun haben, mit unserem Gottes- und Menschenbild? Genauer: mit unseren christlichen Grenzziehungen, die immer noch sehr klar die Welt in «drinnen» und «draussen» aufteilen?

Schauen wir uns dazu den weniger berühmten älteren Sohn des heimlichen Superstars aller Evangelisten, des Vaters vom «verlorenen Sohn», an: Der ältere Sohn war auf dem Feld gewesen. Als er jetzt zurückkam, hörte er schon von weitem den Lärm von Musik und Tanz. Er rief einen Knecht und erkundigte sich, was das zu bedeuten habe. «Dein Bruder ist zurückgekommen», lautete die Antwort… Der ältere Bruder wurde zornig und wollte nicht ins Haus hineingehen. Da kam sein Vater heraus und redete ihm gut zu. Aber er hielt seinem Vater vor: «So viele Jahre diene ich dir jetzt schon und habe mich nie deinen Anordnungen widersetzt. Und doch hast du mir nie auch nur einen Ziegenbock gegeben, sodass ich mit meinen Freunden hätte feiern können! Und nun kommt dieser Mensch da zurück, dein Sohn, der dein Vermögen mit Huren durchgebracht hat, und du lässt das Mastkalb für ihn schlachten!» – «Kind», sagte der Vater zu ihm, «du bist immer bei mir, und alles, was mir gehört, gehört auch dir.» (Lukasevangelium, Kapitel 15, Verse 25-31 NGÜ)

Die missionale Frage schlechthin

Dieser ältere Sohn ist ein armer Tropf. Er verzehrt sich ein Leben lang im Dienst im Vaterhaus und bemerkt dabei gar nicht, mit wem er da unter einem Dach wohnt. Er hätte alles von seinem Vater bekommen können und hat doch so wenig von ihm. Er muss sich fragen lassen, wie es dazu kommen konnte, dass ihm die Knechte offenbar näher stehen als der Vater (Vers 26).

Und noch etwas Weiteres muss er sich fragen lassen: Warum hast du deinen Bruder nie gesucht? Das ist die missionale Frage schlechthin. Angesichts der Teilnahmslosigkeit des älteren Bruders erscheint es als ein doppeltes Wunder, dass der jüngere Bruder den Weg zurück nach Hause gefunden hat. Geschieht dieses Heimkommen von Verlorenen vielleicht deshalb so selten, und wenn, dann eher zufällig?

Ein Sucher-Herz entwickeln

Und dann taucht noch eine Frage an den Vater (an Gott) auf: «Wenn der ältere Sohn direkt neben dir so lange auf dem Holzweg unterwegs war – warum hast du ihm nicht schon viel eher die Augen geöffnet und ihn zurechtgewiesen?» Da ich seine Antwort natürlich nicht kenne, kann ich nur vermuten, was er sagen würde: «Ein hartes Herz bekehren, das von einem falschen Gottesbild fehlgeleitet ist? Das gelingt dir selbst als Gott nur selten!» Ich frage mich: Ist Gott mit dem «Schon jetzt» des Reiches Gottes deshalb noch nicht weiter, weil es so schwierig ist, seinen Kindern im Haus das missionale Sucher-Herz einzupflanzen?

Vielleicht fangen die Mutigen unter uns damit an, den ganz Mutigen hinaus auf die Strassen und zu den Schweinen zu folgen. Und die Schüchternen unter uns fangen idealerweise schon mal damit an, für die heim kommenden verlorenen Söhne und Töchter das Essen aufzusetzen. Die geeigneten Gemeindeformen ergeben sich dann wahrscheinlich ganz von selbst.

Der Autor ist Mitarbeiter der deutschsprachigen Vineard-Bewegung.

Datum: 14.10.2013
Autor: Gerhard Laqua
Quelle: Equipped August 2013

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