"Marketing ist kein neues Wundermittel, sondern nur eine Technik"

Cla Reto Famos

Marketing sei kein neues Wundermittel, sondern bloss eine Technik, die Organisationen helfe, ihre Arbeit zielgerichtet und effizient zu tun, meint der reformierte Theologe Cla Reto Famos (39) und warnt vor übertriebenen Erwartungen an Kirchenmarketing. An ethische Grenzen stösst solches Marketing in seinen Augen dort, wo es nicht in den Dienst Gottes, sondern bloss zur Maximierung des kirchlichen Erfolges eingesetzt wird. - Famos spricht am Samstag an einer Tagung der Paulus-Akademie in Zürich. Thema der Tagung: "Kirche und Marketing? Ökonomische Methoden und ihre Grenzen".

Eine Frage an den reformierten Theologen: Wo müsste die reformierte Kirche Ihres Erachtens dringend Marketingmassnahmen einsetzen?
Cla Reto Fatmos: Die reformierten Kantonalkirchen der Schweiz sind seit längerer Zeit in einer Krise. Es wäre blauäugig zu meinen, dass mit ein paar Marketingmassnahmen eine Wende zu schaffen sei. Man darf sich einerseits von Marketing nicht zu viel erhoffen. Andererseits ist Marketing mehr als nur einfach eine Werbeaktion. Marketing befasst sich mit der Aufgabe, in einen umfassenden Dialog mit den Marktteilnehmern zu treten. Dazu gehören dann mindestens drei Ebenen: einzelne Initiativen, aber auch die Anpassung von Strukturen und der bewusste Umgang mit der Situation. Gerade dies ist besonders schwierig.

Weshalb?
Die grossen Landeskirchen besassen über Jahrhunderte religiöse Monopole. Im 19. Jahrhundert sind mit der Einführung der individuellen Religionsfreiheit diese Monopole gebrochen worden. Faktisch haben sie sich aber noch über Jahrzehnte gehalten. Erst in den letzten Jahren ist so etwas wie ein religiöser Markt entstanden. Durch die Globalisierung und eine starke Migration ist das religiöse Angebot sprunghaft angestiegen.

Solche Veränderungen brachten für die reformierte Kirche, welche etwa im Gegensatz zur katholischen Kirche von der Wanderbewegung nicht profitieren konnte, eine grundsätzlich veränderte Situation. Dies wird leider oft verdrängt, auch wenn die Auswirkungen überall spürbar sind. Viele sehnen sich nach den guten alten Zeiten zurück, stecken den Kopf in den Sand oder organisieren einfach den langsamen Abbau. Der Mentalitätswandel hat also noch zu wenig stattgefunden.

Wo muss dieser Wandel konkret stattfinden?
Famos:. Er muss auch auf der strukturellen Ebene Auswirkungen haben. Die reformierte Kirche hat heute beispielsweise ihren organisatorischen Schwerpunkt auf kantonaler und kommunaler Ebene. Im nationalen Kontext ist sie deshalb viel zu wenig präsent. Es werden in den nächsten Jahren grosse Anstrengungen nötig, um dieses Defizit zu beheben. Dazu braucht es einerseits die finanzielle und organisatorische Stärkung der gesamtschweizerischen Strukturen. Andererseits sind dazu auch einzelne Projekte nötig.

Wo müsste die Kirche Ihres Erachtens dringend Marketingmassnahmen einsetzen?
Sicher sind Glaubwürdigkeit und Authentizität von Repräsentanten der Kirche besonders im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Es gibt zudem auch Beobachtungen, die wohl für beide grossen Kirchen der Schweiz gelten: In vielen Pfarreien werden kirchliche Angebote inhaltlich und methodisch zwar sehr gut vorbereitet. Manchmal wird aber die Frage nicht genügend beachtet, wie auf die Veranstaltungen aufmerksam gemacht werden sollte. Ein Marketingansatz kann dafür sehr nützliche Hilfestellungen bieten.

Was halten Sie von "Image-Kampagnen", wie sie etwa in Basel unter dem Eindruck der zahlreichen Kirchenaustritte die evangelisch-reformierte und die römisch-katholische Kirche durchgeführt haben? Und die vor allem zeigen sollen, was geschehen würde, wenn die Kirche bestimmte Leistungen nicht mehr anbieten würde?
Solche Image-Kampagnen sind sicher ein geeignetes Mittel, wenn sie in ein grösseres Massnahmenpaket eingebunden werden. Der Tenor in Basel war allerdings vielleicht etwas defensiv: Es steckt etwas Zwiespältiges in der Ankündigung von drohendem Leistungsabbau. Der Appell an die Solidarität ist nur bedingt wirksam.

Das Problem besteht heute für die Kirchen gerade darin, dass die Leute sich immer mehr sagen: Eigentlich kann ich auch ganz gut ohne die Kirchenmitgliedschaft leben. Es ändert sich nicht viel – weder für mich noch für die anderen. Es braucht deshalb auch Argumente, welche die persönliche Bedeutung einer Mitgliedschaft aufzeigen.

Zu defensiv handelt die Kirche auch, wenn sie nur versucht, Austritte zu verhindern. Neben dem Erhalt bestehender Mitgliedschaften sollte unbedingt auch die Förderung neuer bzw. die Rückgewinnung alter Mitgiedschaften angestrebt werden.

Wer sind derzeit die "Hauptkonkurrenten" der Landeskirchen? Sind es die Freikirchen? Andere Religionen? Die "Patchwork-Religiosität"? Oder ist es vielleicht einfach die überbordende Fülle der Freizeitangebote?
Was Sie hier aufzählen, sind die Faktoren des religiösen Marktes. Die Patchwork-Religiosität ist Ausdruck der Wahlfreiheit der Menschen. Die Freikirchen haben dadurch mehr Möglichkeiten erhalten, und sie nutzen ihren Spielraum. Fremde Religionen sind dazu gekommen, sowohl durch die Migration als auch durch das verstärkte Wissen über andere Kontinente, welches die Globalisierung gefördert hat. Der Dalai Lama als Repräsentant des tibetischen Buddhismus ist das klassische Beispiel, wie eine eingewanderte ethnische Gruppe in der Schweiz neue religiöse Anhänger findet.

Zudem verwischen sich die Grenzen zwischen Religion und Dienstleistungsangeboten, was ein Blick auf den Esoterikmarkt beweist. Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, sich in dieser Situation auf einen vermeintlichen Hauptgegner zu konzentrieren. Es braucht die Wahrnehmung aller Faktoren und eine entsprechende Reaktion.

Der Einsatz von Marketing-Instrumenten in der Kirche habe an zahlreichen Orten vielversprechende Resultate gezeitigt, heisst es in der Ausschreibung der Tagung in der Paulusakademie. Wissen Sie von konkreten Beispielen?
Nach meiner Erfahrung führt die Beschäftigung mit Marketing in Kirchgemeinden fast immer zu einem geschärften Bewusstsein und zu einer Konzentration in der kirchlichen Arbeit. Es scheint mir aber nicht sinnvoll, nun eine "Mustergemeinde" hervorzuheben.

Überhaupt möchte ich vor übertriebenen Erwartungen warnen. Marketing ist nicht das neue Wundermittel, sondern nur eine Technik, die Organisationen hilft, ihre Arbeit zielgerichtet und effizient zu tun. Um schwierige theologische Grundsatzfragen und einen kontinuierlichen Einsatz kommt man nicht herum.

Kirchen-Marketing setze keine neuen Inhalte, sondern helfe nur dabei, die christlichen Inhalte wirksamer zu vermitteln, sagt der deutsche Betriebswirtschaftsprofessor Hans Raffé. Stimmen Sie dieser Definition zu?
Grundsätzlich stimmt das. Allerdings darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keine absolute Trennung von Form und Inhalt gibt. Der Einsatz von Marketingmethoden beeinflusst damit zumindest indirekt auch theologische Grundfragen. Insofern ist den Kritikern Recht zu geben.

Allerdings ist auch die Entscheidung gegen das Marketing theologisch nicht folgenlos. Es gibt wohl überhaupt keine kirchliche Handlung, die theologisch einfach neutral wäre. Insofern scheint es mir wichtiger, über die konkreten Impulse und Anfragen nachzudenken, welche vom Marketing ausgehen.

Das beste Marketing sei Glaubwürdigkeit, meint der Schweizer PR-Berater Iwan Rickenbacher und sagt bezüglich der Kirche: "Glaubwürdige Menschen müssen fundierte Aussagen zu manifesten Bedürfnissen der Menschen formulieren." Was halten Sie davon?
Da kann ich Rickenbacher durchaus zustimmen. Ich habe in meinem neusten Buch "Kirche zwischen Auftrag und Bedürfnis" festgehalten, dass die Kirche in einem Spannungsfeld steht: Sie muss den aktuellen Erwartungen der Menschen gerecht werden und deshalb bedürfnisorientiert handeln. Dabei darf sie aber ihren göttlichen Auftrag nicht aus den Augen verlieren, ja sie muss ihn im Konfliktfall sogar höher stellen als alle menschlichen Erwartungen.

Zudem scheint mir noch etwas anderes wichtig: Die Kirche muss sich nicht primär wegen des religiösen Marktes an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Sondern weil das Eingehen auf die Sorgen, Nöte und Erwartungen der Menschen zu ihrem ureigenen Auftrag gehört. Wenn die Kirche nur auf die Konkurrenz schielt, orientiert sie sich falsch und gerät in die Gefahr, das Wesentliche zu verfehlen. Bedürfnisorientierung macht nur dann Sinn, wenn vom Auftrag der Kirche her gedacht ist. Nur so ist Kirche wirklich bei sich selbst.

Wo stösst Ihres Erachtens Kirchenmarketing wirklich an ethische Grenzen?
Schon dort, wo es nicht in den Dienst Gottes, sondern zur Maximierung des kirchlichen Erfolges eingesetzt wird.

Womit würden Sie heute ganz besonders für die Kirchen werben?
Die Kirche hat eine wundervolle Aufgabe. Sie kann den Menschen im Auftrag Christi einen umfassenden Frieden kommunizieren, den sonst niemand geben kann. Sie muss zwar die Menschen in die Nachfolge rufen, zu aktiver Nächstenliebe, Dienst und Versöhnung, und das ist nicht immer einfach. Aber sie kann ihnen dafür auch Sinn, eine Vision für die ganze Welt und Geborgenheit in einer Gemeinschaft bieten.

Cla Reto Famos
Der reformierte Theologe Cla Reto Famos (1966), aufgewachsen in Luzern, hat Theologie in Bern und in Richmond, Virginia (USA) studiert. Er ist Privatdozent für Praktische Theologie an der Universität Zürich und arbeitet als Geschäftsleiter der Schweizerischen Studienstiftung. Zu seinen Forschungsgebieten gehören unter anderem wirtschaftliche Perspektiven in der Praktischen Theologie sowie der Dialog mit den Wirtschaftswissenschaften. Sein neues Buch trägt den Titel "Kirche zwischen Auftrag und Bedürfnis" und ist 2005 im LIT-Verlag (München) erschienen.

Interview: Josef Bossart

Datum: 06.09.2005
Quelle: Kipa

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