Korankenner Kurt Beutler

«Ich will Brücken schlagen»

Er ist mit einer Ägypterin verheiratet, liest den Koran in Arabisch, hat viele muslimische Freunde, ist aber Christ. Wenn Kurt Beutler über den Islam spricht, dann spürt man, dass seine Gedanken in jahrelangen Gesprächen mit Muslimen geformt worden sind. idea Spektrum hat sich mit ihm unterhalten.
Kurt Beutler
Andreas Thiel (r.) in Roger Schawinskis Talkshow.
Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher
Buchcover von Kurt Beutler

idea Spektrum: Der Satiriker Andreas Thiel schrieb in einem Weltwoche-Artikel, Mohammed sei ein Sklaventreiber, Kinderschänder und Massenmörder. Und dieses Verhalten werde im Koran gerechtfertigt. Was ging Ihnen beim Lesen seines Artikels durch den Kopf?
Kurt Beutler:
In meinem Buch «Zwischen Bomben und Paradies» habe ich das Leben Mohammeds dargestellt. In seinem Leben gibt es zwei Abschnitte: Die ersten zwölf Jahre als Prophet verbrachte er in Mekka, die nächsten zehn Jahre in Medina. Die Suren im Koran sind ungefähr zur Hälfte in Mekka entstanden, die andere Hälfte in Medina. In diesen beiden Teilen finden sich sehr unterschiedliche Aussagen und Themen. Das macht es schwierig, allgemein gültige Aussagen über Mohammed zu machen.

Lassen sich Thiels Beschreibungen aufgrund von Mohammeds Lebensführung belegen?
Tatsächlich lassen sich entsprechende Taten bei Mohammed nachweisen. Man kann aber nicht sagen, dass diese das ganze Leben und Wirken Mohammeds beschreiben – er hat auch Sklaven befreit und Menschen gerettet.

Dann hat Andreas Thiel den Koran selektiv gelesen und nur die düstere Seite des Propheten komprimiert dargestellt?
Ja, vor dieser Entscheidung stehen wir alle: Suche ich nur das Negative oder nur das Positive? Oder versuche ich fair zu sein und zu verstehen, was wirklich war und worum es tatsächlich ging.

Trotzdem bleibt die Frage – hat Thiel den Koran falsch gelesen und überhaupt nicht verstanden? Im Gegensatz zu Ihnen hat er nämlich keine einzige Perle im Koran gefunden.
Hätte er eine andere Aufgabenstellung gehabt, hätte er die Perlen möglicherweise ebenfalls entdeckt. Aber offensichtlich suchte er nach Gefahren. Das ist ihm in einer Zeit, in der von Muslimen ausgeübter Terror die Schlagzeilen beherrscht, nicht zu verübeln. Die von ihm zitierten Texte stehen so im Koran. Es sind ja durchs Band religiöse Muslime, die Gewalt verbreiten.

Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher hat nach dem Attentat in Paris eine drastische Reform der islamischen Theologie gefordert. Sie sagte, ich zitiere: «So lange die Kampfaufrufe Mohammeds und der Kalifen nicht für alle Zeiten für ungültig erklärt werden, wird der Islam sein Gewaltproblem nicht loswerden.» Hat sie recht?
Ich denke ja. Es ist so: Wir haben ja auch im Alten Testament Gewaltaufrufe, die Steinigung ist vorgeschrieben, ganze Städte werden ausradiert. Diese Anordnungen betreffen aber allein die Juden, in einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Region. Sie gelten nicht für immer, nicht für überall und nicht für die ganze Menschheit. Als Jesus kam, gab er dem Gesetz einen neuen Sinn. Er sagte: «Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.» Damit
hat er die Steinigung nicht abgeschafft, aber er hat sie verunmöglicht, weil kein Mensch besser ist als der andere. Genau das fehlt im Islam.

Lassen sich solche Suren nicht als an die damalige Zeit gebunden interpretieren?
Der Koran ist in seinem Aufbau chaotisch. Es gibt keine Zeitangaben, keine Chronologie, vielfach fehlen die Orts- und Namensangaben. Damit weiss man selten, um welchen Kriegszug und mit welchem Motiv es in einer bestimmten Sure gegangen ist. So ist es kaum zu verhindern, dass die Gewaltaufrufe im Koran von manchen als Anordnung des Propheten an die muslimischen Gläubigen von heute verstanden werden.

Während bei westlichen Politikern und Journalisten der Anschlag auf «Charlie Hebdo» als Angriff auf die Meinungsfreiheit gilt, sagte einer der Attentäter: «Wir sind keine Mörder. Wir sind Verteidiger des Propheten.» Versteht der Westen die tatsächlichen Motive nicht?
Im Islam geht es um Ehre. Um die Ehre Allahs, um die Ehre des Propheten. Selbstmordattentate sind eine Art von Ehrenmorden. Auch beim Mord an Konvertiten geht es im Kern um verletzte Ehre. Die Blutrache dient ebenfalls der Wiederherstellung der eigenen Ehre. Die Kriege im Nahen Osten finden kein Ende, weil es um Ehre geht.

Da könnte man schon zur Meinung gelangen, dass der Terror dem Herzen des Islam entspringt?
Würde der Koran lediglich aus dem Aufruf bestehen: «Geht und tötet die Ungläubigen!» hätte diese Religion keinen Bestand gehabt. Es gibt Perlen im Koran – es gibt aber auch Anti-Perlen. Dieses rätselhafte Buch enthält beides und der Leser weiss an manchen Stellen nicht, was dort genau gemeint ist.

Aktuell taucht die Forderung auf, man solle islamischen Gemeinschaften den gleichen öffentlich-rechtlichen Status erteilen wie den Landeskirchen. Ist das die Lösung?
Nein. In islamischen Ländern, wo diese Religion den bestmöglichen Status hat, geht es nach wie vor repressiv und kriegerisch zu und her. Es gilt zu bedenken, dass in diversen Suren friedfertige Muslime als Heuchler dargestellt werden. Vorgeworfen wird ihnen geheucheltes Beten und die Verweigerung, Besitz und Leben für den Heiligen Krieg einzusetzen. Muslime, welche diese Textstellen ernst nehmen, verurteilen die in ihren Augen zu liberalen Muslime. Diese Spannung lässt sich auch mit einer öffentlichen Anerkennung des Islam als Landesreligion nicht auflösen und auch die Integration wird damit nicht besser. Das Problem liegt in den grundlegenden islamischen Schriften selber: Koran, Hadithe und Sira.

Gehört der Islam zur Schweiz?

In Angola wurde der Islam verboten. Aber ein Verbot schürt den Hass. Wenn fünf Prozent der Bevölkerung muslimisch sind, sind Muslime ein Teil der Schweiz. Es ist aber keine Lösung, so zu tun, als wäre der Islam eine durch und durch friedliche Religion ohne Konfliktpotenzial und der Koran ein Buch nur voller Perlen. Islam bedeutet «sich Gott unterwerfen». Das ist etwas Gutes. Die Frage ist: Wie verläuft der Weg dieser Unterwerfung? Solange Mohammed das kritiklose Vorbild ist, bleibt der Islam gefährlich.

Sie arbeiten als interkultureller Mitarbeiter für MEOS und sind in der Kontakt- und Integrationsarbeit unter arabisch sprechenden Ausländern tätig, dazu immer wieder auch als Buchautor. Eines Ihrer Bücher heisst «Perlen im Koran». Worum geht es darin?
Ich glaube an Jesus, der uns zur Wahrheitssuche ermutigt hat. Er sagt, wir sollen nicht richten. Nur weil eine Religion anders ist, lehne ich sie nicht ab. Ich will sie verstehen, auch das Positive in ihr suchen und Muslimen respektvoll begegnen. Diese Haltung zeigt dieses Buch. Sein Untertitel heisst: «Ein Christ entdeckt das Buch der Muslime». Im Koran finde ich Aussagen über Jesus, über Maria, Johannes den Täufer, über manchen alttestamentlichen Propheten, dann auch über die Bibel und über Christen. Diese Berichte dienen mir dazu, eine Brücke zu schlagen im Gespräch mit meinen muslimischen Freunden. Es gibt Koranverse, die besagen, der Koran beabsichtige, die Thora, die Psalmen und das Evangelium zu bestätigen. Das macht diesen vergleichenden Austausch
so interessant.

Christen werden im Koran als Gotteslästerer, denen die Hölle gebührt, bezeichnet. Wie gehen Sie damit um?
Sie finden beides: Einerseits steht im Koran, dass ernsthafte Christen ins Paradies kommen, anderseits auch, wer sagt, Gott habe einen Sohn, der sei ein Gotteslästerer. Es ist nicht meine Aufgabe, diesen und andere Widersprüche aufzulösen.

Zum Autor

Kurt Beutler, Jahrgang 1960, wurde in Affoltern am Albis ZH geboren und wuchs in Bern auf. Er studierte an der Universität Bern und am London Bible College evangelische Theologie. Es folgten Aufenthalte in Japan, Ägypten und im Libanon. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz war er acht Jahre für die Heilsarmee Zürich tätig. Heute ist er Mitarbeiter bei MEOS Schweiz und als interkultureller Berater für arabisch sprechende Ausländer tätig. Zudem erteilt er Kurse für Christen zum besseren Verständnis von Muslimen. Aufgrund seiner theologischen Ausbildung, seiner Aufenthalte im Nahen Osten und seiner Arabischkenntnisse ist Kurt Beutler mit dem Islam und der Alltagsrealität von Muslimen vertraut. Er ist Autor mehrerer Bücher zu Islamthemen. Sein aktuelles Werk heisst «Perlen im Koran. Ein Christ entdeckt das Buch der Muslime». Beutler ist verheiratet mit Mona, einer Ägypterin, sie haben zwei erwachsene Töchter und leben in Zürich.

Das ausführliche Interview mit Kurt Beutler lesen Sie im aktuellen idea Spektrum Nr. 4-2015. Bestellung möglich unter www.ideaschweiz.ch

Datum: 26.01.2015
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: idea Spektrum

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