Millennials

Gott und die Suche nach Glück

Die Kinder der digitalen Revolution leben in einer anderen Welt. Wie Christen auf sie eingehen (sollten), beschäftigte am 25. März 2011 eine Tagung in Burgdorf.
Mittagspause in der warmen Burgdorfer Sonne.
Kommunikationskünstler mit Sehnsucht: Barbara Wyss mit Leo Iantorno und Joel Suter.
Die bestehenden Chancen nutzen: Michael Giger.
IGW-Co-Rektor Michael Girgis beim Abschlusspodium. Rechts Urs Schmid.

Menschen zwischen 15 und 25 Jahren, wegen der Jahrtausendwende auch Millennials genannt, ticken anders – und mit traditionellen Kirchen können die meisten gar nichts anfangen. Was können Christen tun, wo ansetzen? Das Institut für Gemeindebau und Weltmission IGW führte am letzten Freitag in Burgdorf einen Studientag durch. 150 Personen, mehrheitlich IGW-Studierende, folgten einem Reigen engagierter Kurzvorträge über Millennials und Kirche.

Kommunikation als Erfolgsrezept

Der Theologe Urs Schmid ging von der individualistischen Grundstimmung junger Erwachsener aus. Millenials erlebten wie keine Generation zuvor, dass sie durch ihre eigenen Fähigkeiten zur Kommunikation und Informations-Beschaffung zu Erfolg und Glück kommen könnten (Vorbild: Mark Zuckerberg). «Sie sind nicht geprägt von Werten wie Familienehre, Vaterlandsliebe oder Firmentreue.» So suchten sie, ohne sich als Egoisten vorzukommen, ihre Chance. Urs Schmid, Pastor des Christlichen Zentrums Buchegg CZB in Zürich, der grössten Pfingstgemeinde der Schweiz: «Haben wir Antworten auf Fragen, welche Millennials gar nicht stellen? Sind wir bereit zu lernen, wie Gemeinden aussehen müssen, dass sich Millennials wohl fühlen?»

Im CZB gab es vor zehn Jahren nichts für junge Erwachsene, weder eigene Gottesdienste noch Kleingruppen noch Projekte. Heute treffen sich laut Schmid 140 Millennials unter dem Label «Soulfire» in der Freikirche. Ein Schlüssel: «Sie halten nichts von grossen Organisationen, schätzen aber den unmittelbaren persönlichen Kontakt mit einer Begleitperson.»

Wem kann ich vertrauen?

Für Matthias Spiess, Leiter der Jugendallianz in der Deutschschweiz, entwickelt sich die christliche Jugendszene »weitgehend parallel zur weltlichen». Junge Christen hätten oft Mühe mit der persönlichen Spiritualität, sagte Spiess. Sie liessen sich von Vertrauenspersonen ins Leben reden, hielten mehr von Erfahrungen als von Theologie, nähmen Anregungen an ganz verschiedenen Orten auf und seien innovativ und mutig. Matthias Spiess forderte die Teilnehmenden heraus, Jungen ein Vorbild zu sein und einen ganzheitlichen Glauben in allen Lebensbereichen zu fördern.

Die nächsten fünf Minuten

Barbara Wyss vom IGW-Studienleiter-Assistentin in Burgdorf skizzierte die Welt der Millennials mit kräftigen Strichen. Ständig online, hätten sie die nächsten fünf Minuten im Kopf und liebten es, ihre Befindlichkeit über Facebook mit der Welt zu teilen. Weiter fällt die «Neigung zur mehrfachen Selbstdarstellung» auf. In der virtuellen Gegenwelt Second Life bastelten sich die meisten eine Gestalt, die ihnen ähnlich sehe. «Doch da können sie sich anders geben und tun, was ihnen passt.»

Eine Umfrage unter Millennials lässt laut Barbara Wyss darauf schliessen, dass viele gute Eltern werden und eine erfolgreiche Ehe führen wollen. Globale Zukunftsfragen blenden sie aus; persönliche Beziehungen stehen im Vordergrund. Der Grossteil der Millennials hat zum Christentum gar keinen Draht mehr. Sie hoffen, dass oberflächliches Glücklichsein irgendwie zu tiefem Glück hin führt.

Dazugehören, dann glauben

Die Botschaft von Jesus erweist ihre lebensverändernde Wirkung, wenn sie im Alltag Freunden vermittelt wird. Doch diese Form der Evangelisation allein genügt nicht. Der Churer Prediger Andreas Boppart plädierte auch für evangelistische Veranstaltungen, «in denen Interessierte in grosser Zahl dem Evangelium begegnen». Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wandelte er ab: Heute gelte es, das Evangelium Söhnen und Töchtern des verlorenen Sohns zu vermitteln, in einem Dialog, der sich über lange Zeit hinziehen könne.

Dabei ist, so Boppart, im Unterschied zu früher, die Gemeinde als ganze gefordert. Menschen sagen zunehmend aufgrund von Erfahrungen Ja zu Christus – wenn sie Gemeinschaft erleben. Die Ansicht, der gesellschaftliche Wandel erschwere die Evangelisation, wollte der Prediger nicht gelten lassen: «Das Problem liegt nicht bei Menschen, die sich verändern, sondern bei Christen, die sich nicht verändern.» Der Prediger meinte, gerade Millennials hätten «noch viel mehr Ideen, was man mit Evangelium machen könnte». Gemeinden ist ein Doppeltes aufgegeben: «Wir dürfen immer noch Kirche machen, zu der Menschen kommen sollen, aber wir müssen auch Kirche sein, die zu den Menschen geht.»

Religionsunterricht als Chance

Michael Giger, der als Kirchencoach der St. Galler Kirche reformierte Gemeinden berät, beleuchtete die Herausforderungen aus reformierter Sicht. In Schule und Gesellschaft eingebunden, stellten sich die Reformierten vielen gesellschaftlichen Themen. Giger betonte die Chance des schulischen Religionsunterrichts, der im Kanton St. Gallen von Landeskirchen erteilt wird: «60 Stunden im Jahr ist uns ein Jugendlicher anvertraut.» Dass die meisten Teenager aus der Kirche hinauskonfirmiert werden, führt Giger auf die interne Struktur der Kirche zurück; sie sei für Jugendliche nicht attraktiv.

Die St. Galler Kirche hat sich indes vorgenommen, bis 2015 «inspirierende, zeitgemässe Gottesdienste und Angebote für alle Altersgruppen» zu gestalten. Doch ist laut Giger auch für den Erhalt des schulischen Religionsunterrichts zu kämpfen – ohne ihn wären Millennials noch schwieriger anzusprechen. Die St. Galler Reformierten haben beschlossen, Kinder und Jugendliche «nahtlos von der Taufe bis zur Konfirmation und weiter zu begleiten».

Dies bedingt laut Michael Giger eine starke Verknüpfung von Schule, Jugendarbeit, Gottesdiensten und Elternarbeit. Die Freikirchler im Saal forderte er auf, den Lehr- und Bildungsauftrag in der Gesellschaft wahrzunehmen. «Wenn Struktur und Power zusammenkommen, haben wir etwas Zukunftsträchtiges in der Hand!»

Am Ball bleiben

Christian Stricker, Leiter der Ostschweizer Godi-Arbeit , unterstrich die Bedeutung der «Herzzone», des inneren Bereichs der engagierten Mitarbeitenden. «Der Schlüssel sind Herzen, die dran bleiben.» Die Godi-Events motivierten Jugendliche, im Glauben zu wachsen, «aber wir senden sie zurück in die Gemeinden, weil wir glauben, dass sie Potenzial haben.» Stricker erwähnte, dass zu wenig Absolventen in die Gemeindearbeit gehen, und fragte: «Wer von euch wird in fünf Jahren zu mindestens 50% am Ball sein und kämpfen, auch wenn es hart wird?» Um Neues zu prägen, sei anhaltender Einsatz gefordert.

«Sehnsucht nach Gott»

Leo Iantorno, Jugendpastor in Rafz im Zürcher Unterland, setzte einen Gegenakzent. «Wir reden hier von entkirchlichen Jugendlichen – ich rede von verkirchlichten Jugendlichen, die keine Ahnung von Nachfolge haben.» In der Postmoderne seien alle Wege zu gehen, um die Botschaft zu vermitteln. «Die Jugendlichen heute haben eine Sehnsucht nach Gott. Sie suchen ihn.» Iantorno schilderte die Vorbereitungen für die Jugendevangelisation «Born to know God», die an vier Abenden in der Stadthalle Bülach über die Bühne ging.

Alles für die Bühne

Der Innerschweizer ICF Pastor Joel Suter warb für den ansprechenden Gottesdienst: «Einmal Woche Bühne – am Puls der Zeit». Er hat Zuhörer eingeladen, während der Predigt per SMS Fragen an die Sekretärin zu senden, und sie anschliessend beantwortet. «Wir legen unsere wichtigste Energie in den Gottesdienst», sagte Suter und schilderte den hohen Aufwand, wenn am selben Sonntag in Luzern und Zug dieselbe Technik zum Einsatz kommt. Der Gottesdienst solle kreativ, vielseitig, alltagsbezogen, spannend, lebensnah und herausfordernd sein. So könnten Vorurteile, die bei Millennials gängig seien, abgebaut werden. «Sie merken, dass wir ihre Welt verstehen.» Es gelte, sie herausfordern, ohne sie zu bedrängen. Attraktive Gottesdienste geben ICFlern ein gutes Gefühl, wenn sie Freunde einladen.

Facebook nutzen

Internet-Videos erweisen sich als wirkungsvolle Mittel, die Kraft des Evangeliums zu vermitteln. Matthias Langhans, der mit einem Team die Website gottkennen.ch betreibt, verwies auf das Potenzial von Facebook, Junge zum Bibellesen zu animieren und für gesellschaftliche Probleme zu sensibilisieren. Er empfahl den Teilnehmenden, sich mit Jugendlichen zusammenzusetzen und mit ihnen die Message zu bestimmen, die sie an ihresgleichen weitergeben wollen. Zur Umsetzung brauche es ein Team, das mit den Jugendlichen unterwegs ist.

Kreuz oder Liegestuhl?

Auf dem Schlusspodium mahnte Matthias Spiess, Grosses zu wagen – aber nicht im Machertum oder mit Methodengläubigkeit. Urs Schmid bevorzugt evangelistische Konzepte, die alle Gemeinden umsetzen, für die alle Feuer fangen können. Andreas Boppart fragte: «Tragen wir das Kreuz von Jesus oder eher einen Liegestuhl in die Sonne?» Matthias Langhans erzählte von Kontakten mit Ausländern; er ist mit seiner Familie bewusst in ein solches Quartier gezogen. Leo Iantorno warnte vor der Professionalisierung: Nicht Mails seien der Job des Pastors, sondern Menschen. Urs Schmid rief dazu auf, in kleinen Gruppen verbindlich zu arbeiten. Dann gebe es die «Freude, dass wir Menschen gewinnen und begleiten können».

Datum: 01.04.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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