Protestantismus ganz säkular

Körperwahn: Wenn Genuss Sünde ist

Die Deutschen haben einen «völlig verkrampften» Umgang mit dem Essen (über die Schweizer ist noch nichts bekannt…). Liegt der Grund für den herrschenden Körperwahn im Protestantismus?
Frau fühlt sich zu dick
Johann Christoph Klotter
Körperwahn ist auch bei Männern ein grosses Thema.

Der deutsche Ernährungspsychologe Johann Christoph Klotter äusserte in einem Interview mit der «Welt am Sonntag», dass der «völlig verkrampfte» Umgang der Deutschen mit dem Essen im Protestantismus liege. Das meldete jetzt die Nachrichtenagentur «idea». Der Protestantismus (vor allem der in der calvinistischen Spielart) predige «Askese als Tugend und Genuss als Sünde». Heute sei Religion nicht mehr so in Mode, darum komme der Mässigungswahn im wissenschaftlichen Gewand daher. «Man glaube, mit Studien begründen zu können, warum man ständig Sport treiben müsse, kaum Kohlenhydrate mehr esse und kein Gluten mehr zu vertragen meine.» Dabei habe «die US-Forscherin Katherine Flegal herausgefunden, dass Übergewichtige über alle Krankheitsbilder die geringste Sterberate hätten.»

Selbstinszenierung

Gar nicht mehr protestantisch ist nun aber die Tatsache, dass sich nach Ansicht von Klotter der superbewusste Esser «selbst inszeniert»: «Er vermittelt seiner Umwelt, dass er sich besonders gut um seinen edlen Körper kümmert. Über eingebildete Lebensmittelunverträglichkeiten entwickelt er seine Identität.» Eine Erfahrung auf einer Geburtstagsfeier illustriert das. Eine Frau habe den Raum betreten und sofort begonnen zu erzählen, was sie alles vom Büffet nicht essen könne: «Eine egozentrische Inszenierung erster Güte.»

Christlicher Glaube und Genuss

Askese (extremer Verzicht) als Mittel zur Selbstdarstellung – beides ist dem christlichen Glauben zutiefst fremd. Die Bibel hat ein durchaus ausgewogenes Verhältnis zum Genuss. «Ein jeglicher Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut in aller seiner Arbeit, das ist eine Gabe Gottes», sagt etwa das Buch Prediger (Kapitel 3, Vers 13). Menschen sollen ihre Hoffnung auf Gott setzen, «der uns alles reichlich darreicht zum Genuss» (Erster Brief an Timotheus, Kapitel 6, Vers 17). Paulus warnt an anderer Stelle vor einer gesetzlichen Askese, die durch Genussverzicht versucht, vor Gott Punkte zu sammeln (Kolosserbrief, Kapitel 2, Verse 20-23). Seine Begründung: «Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird.»

Gott hat uns als Menschen so geschaffen, dass wir geniessen können. Er hat seine Schöpfung verschwenderisch mit grosser Schönheit ausgestattet. Es geht nicht nur um Zweckmässigkeit (auch bei der körperlichen Lust nicht). Und so schenkt er uns zu unserem oft mühevollen Leben den Genuss. Wenn wir ihn dankbar annehmen, dann ehren wir Gott damit. Genuss ist also ein Stück Anerkennung der Güte und Grosszügigkeit und Kreativität des Schöpfers.

Genuss als Selbstzweck führt zum Ekel

Das unterscheidet den Genuss der Bibel vom heutigen Schlankheits- und Körperwahn, der oft nichts anderes als pure Egozentrik ist. Sie warnt klar vor den Menschen, «deren Gott ihr Bauch» ist. Wo der Waschbrettbauch oder der perfekte Körper zum Gott wird, bleibt der Mensch auf sich selbst verkrümmt und eigentlich arm. Denn wehe, mit diesem Körper passiert etwas! «Genuss als Selbstzweck führt zum Ekel.» (J.-P. Sartre)

Befreit aus der Verkrümmung in sich selbst

Die Grundbotschaft der Bibel ist eine Einladung: Werde frei von der Verkrümmung und Verkrampfung in dich selbst und wende dich deinem Schöpfer zu. Unseren Körper haben wir ja nicht selbst geschaffen, sondern ihn geschenkt bekommen. Natürlich sollen wir zu ihm schauen; aber Sie sind viel mehr als Ihr Körper! Der wird eines Tages sowieso verrotten; Ihre «Seele», also Ihr Persönlichkeitskern aber (und damit das Entscheidende, Unverwechselbare an Ihnen) lebt weiter und soll eines Tages einen neuen, wirklich perfekten Körper für die «Schöpfung 2.0» bekommen. Wir sind dazu geschaffen, eine Ewigkeit mit unserem Gott zu verbringen – und Jesus macht uns die Tür dazu auf. Welche Befreiung, mehr zu sein und mehr zu haben als einen perfekten Body!

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Datum: 15.02.2018
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / idea Deutschland

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