Beteiligungskirche in Berlin

Das Wunder von Moabit

Die Refo-Gemeinde in Berlin sieht äusserlich wie eine normale Kirche aus. Doch sie ist alles andere als normal. Jahrelang stand die Stadtkirche in Berlin-Moabit leer. Dann kamen Christen mit der Idee, hier Kirche im Kiez zu leben. Zusammen mit ihren christlichen, atheistischen und muslimischen Nachbarn wollen sie Gott begegnen. Und das verrückte Konzept geht auf…
Gottesdienst in der Refo Moabit
Gottesdienst in der Refo Moabit in Berlin

Auf ihrer Webseite schreiben die Initiatoren: «Als Gemeinschaft wollen wir uns nicht auf Grund unseres Glaubens abgrenzen. Wir können Menschen in unsere Hoffnung hinein nehmen und mit ihnen hoffnungsvoll leben, ohne dass sie den Grund unserer Hoffnung für sich annehmen können. So kann eine leere Kirche zu einem Ort werden, an dem ChristInnen und NichtchristInnen gemeinsam eine Hoffnungs-Gemeinschaft bilden.»

Der Traum

Bevor die altehrwürdige, aber leerstehende Reformationskirche im Berliner Stadtteil Moabit zur Refo-Gemeinde wurde, ist einiges passiert. Christinnen und Christen zogen in den Kiez, engagierten sich dort im Quartiersmanagement, dem SOS-Kinderdorf und in einem grossen Jugendhaus. Übergangsweise wurde ihnen das leerstehende Kirchengebäude samt Nachbarhaus zur Verfügung gestellt. Sie waren für Flüchtlinge da, begannen einen klassischen Kirchenchor (die «Cantorei» der Reformationskirche), ein Jugendtheaterprojekt mit hauptsächlich muslimischen Jugendlichen und eine Kita. Immer wieder unterstrichen sie: «Wir träumen von einem Kiez, in dem irgendwann nicht mehr unterschieden wird, welche Haut- oder Haarfarbe man hat oder ob die eigene Geschichte von Migration geprägt ist oder nicht, sondern jeder ganz einfach Mensch ist und keine Unterschiede mehr gemacht werden, und sich Vielfältiges zu einem offenen gemeinsamen Neuen entwickelt. Gegründet auf den einzigen wirklich festen Grund, Jesus Christus (1. Korintherbrief, Kapitel 3, Vers 11), und in der Kraft des Heiligen Geistes lebend, wollen wir als Reformationskonvent bewusst eine suchende und betende Jesus-Gemeinschaft sein.»

Unterschiedlichkeit als Chance

Die Träger der Refo-Gemeinde verstehen sich als basisdemokratische Christen, die Unterschiede in Auffassungen und Glaubensfragen bewusst als Chancen wahrnehmen. Sie verzichten zum Beispiel auf ein festgelegtes gemeinsames Schriftverständnis, bleiben aber miteinander im Gespräch, bis sie einen Konsens gefunden haben. Ihre Prozesse gestalten sie bewusst ergebnisoffen und sind so eine Art «Beteiligungskirche». «Kirche ist für uns der Ort, an dem sich Menschen verbünden, um das, was Gott ihnen aufs Herz gelegt hat, gemeinsam umzusetzen», unterstreichen sie. Dabei stehen nicht Haupt- und Ehrenamt im Mittelpunkt, sondern die gemeinsame Vision, dass Gott durch seine Liebe Veränderung, Transformation in ihrer Umgebung bewirkt.

Null Euro für eine Kirche

2011 begann die Arbeit der Refo-Gemeinde – in einem auf Zeit zur Verfügung gestellten Kirchengebäude. Irgendwann beschloss die Berliner Kirchenleitung, das Projekt der christlichen Paradiesvögel zu beenden und nach einer wirtschaftlich lukrativeren Nutzung der Gebäude zu suchen. Doch die Christen sahen Moabit weiterhin als «ihren Platz» an – und Bezirksbürgermeister, Bundestagsabgeordnete, Quartiersmanagement, alle (!) Parteien vor Ort und das gewählte Bezirksparlament von 370’000 Einwohnern von Berlin-Mitte sahen das genauso. Schliesslich gab die Kirchenleitung nach und stellte der Refo-Gemeinde diesen Mai das Gemeindezentrum für 99 Jahre kostenfrei zur Verfügung. Nun beginnen Umbau und Sanierung der Nebengebäude für eine dauerhafte Nutzung als Kita- und Familienzentrum, um schon bald 120 Kinder aus dem Kiez aufzunehmen.

Kirche für jeden

Gemeindeleben ist für die Berliner Refo-Gemeinde in erster Linie Beziehungsgeschehen. Kulturveranstaltungen und Gottesdienste dienen dabei als Kontaktflächen. Doch erst, wo Menschen andere erleben, die ihren Glauben authentisch leben, lassen sie sich wirklich auf Glaubensfragen ein. Deshalb ist die Reformationskirche in erster Linie ein offener, gastfreundlicher Gottes-Ort für suchende Menschen. Schon jetzt wohnen viele Mitarbeiter in der Nähe der Kirche – bald können circa 20 Gemeinschaftsmitglieder direkt auf dem Gelände leben. In Berlin-Moabit ist noch viel zu tun, doch ein Anfang ist gemacht, und die Refo-Gemeinde hat 99 Jahre Zeit, ihre Vorstellungen umzusetzen. Das einzige Problem ist, dass sie jetzt schon mehr Ideen haben, als sich in dieser Zeit verwirklichen lassen. Ein schönes Problem…

Zur Webseite:
Refo Moabit

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Datum: 26.05.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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