Fördern und fordern

Flüchtlinge aufnehmen – aber auch ernst nehmen

Gibt es etwas Schöneres, als in einem fremden Land überraschend willkommen geheissen und in eine Familie aufgenommen zu werden? Kann man daraus Schlüsse auf die Flüchtlingswelle und unsere Reaktionen darauf ziehen?
Ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa

Die Reaktionen auf die Flüchtlingswelle sind ein Spiegel unserer Gesellschaft. Vom Ruf, alle Grenzen dicht zu machen und der durchsichtigen Absicht, damit Stimmen zu fangen, bis hin zum Aufruf, Flüchtlinge ohne jedes Ansehen der Person willkommen zu heissen, gibt es viele Varianten und Lösungsvorschläge.

Letzte Woche haben reformierte und katholische Theolog/innen eine Migrationscharta vorgestellt. Gemäss den drei Prinzipien, Gleichheit der Menschen, Gerechtigkeit und Solidarität sollen Menschen ohne jede Unterscheidung bezüglich Absichten und kultureller Nähe willkommen geheissen werden. Die Flüchtlinge sollen sogar das Recht auf freie Niederlassung und ein Recht auf Existenzsicherung haben. Die Kirchen werden aufgerufen, sich vehement für diese Grundsätze einzusetzen.

In der Schweiz ist die Stimmung gegenüber Flüchtlingen noch erstaunlich tolerant, jedenfalls so lange sie nicht in der eigenen Nachbarschaft untergebracht werden sollen. Doch im Vergleich zum Umgang mit den vietnamesischen Boat People vor 40 Jahren hat sich vieles verändert. Damals führte deren Schicksal zu einer beispiellosen Solidarisierungswelle. Man wollte ihnen helfen, und so wurde auch ihre Integration zu einer Volksgeschichte, wie der damalige Flüchtlingsbetreuer bei Heks und Caritas und spätere Journalist Beat Kraushaar in der Schweiz am Sonntag vom 30. August vermerkt.

Der Türöffner

Zweifellos ist die heutige Lage noch um einiges komplizierter. Die Vielfalt an Religionen und Kulturen, welche die Flüchtlinge mitbringen, ist herausfordernd. Die grossen Probleme innerhalb des Islams und den Extremisten, die er hervorgebracht hat, verkomplizieren die Situation. Eritreer scheinen das Land zu überschwemmen und zu Dauerkunden der Sozialhilfe zu werden. Da scheint guter Rat teuer.

Dazu zwei Gedanken: Was geschieht mit mir, wenn ich in einem anderen Land, einer anderen Kultur völlig unterwartet willkommen geheissen und wertgeschätzt werde? Es liegt auf der Hand: Diese Erfahrung wird mich prägen. Sie ist ein Türöffner für meine Zukunft. Sie öffnet mich dafür, mich auf bislang Unbekanntes einzulassen.

Die 10 Punkte für Migranten

Menschen aus fremden Kulturen brauchen das. Aber vielleicht noch etwas mehr. Der Doyen unter den Schweizer Journalisten, Frank A. Meyer, weist darauf hin, dass Migranten auch ein Recht darauf haben, zu erfahren, welche Werte im Land ihrer Wahl gelten. In der Schweiz am Sonntag meint er dazu: «Man könnte jedem Asylanten beim Übertritt über die Grenze in Chiasso einen Merkzettel in die Hand drücken mit den zehn wichtigsten Punkten über unser Land und unsere Kultur: Bei uns sind Frauen und Mädchen gleichberechtigt, bei uns gilt Religionsfreiheit, weitere Punkte müssten die Aufklärung über Gesetze enthalten, über Regeln und Riten, vielleicht sogar über Geschichte.»

Der Ton macht die Musik

Meyer bewegt sich dabei auf heiklem Terrain. Während viele Angst haben, die Flüchtlinge aus anderen Kulturen könnten sich nicht integrieren, wollen andere jeden Druck auf Integration vermeiden. Doch es ist meines Erachtens auch ein Akt des Respekts und der Liebe, fremde Menschen darauf aufmerksam zu machen, was den Gastgebern wichtig ist. Viele werden das schätzen. Und es ist wohl auch eine Frage der Tonalität, mit der diese Botschaft an die Migranten aller Art vermittelt wird. Bereits das alte Israel hat seine Migranten darauf verpflichtet, die religiösen Werte des Gastlandes zu respektieren und sie eingeladen, sie zu übernehmen.

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Datum: 31.08.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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