Jüdisches Forum will die Medien genauer beobachten

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Thomas Lyssy, SIG Vizepräsident & Kommunikation

Bern. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet hat der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) entschieden, ein Forum einzusetzen, das die Nahost-Berichterstattung in den Schweizer Medien genauer beobachten soll. Es handle sich jedoch nicht um eine Propagandastelle.

Das sogenannte Schweizerisch-Jüdische Medienforum wolle den Einfluss der Nahost-Berichterstattung auf die Juden in der Schweiz beobachten. Der SIG sei keinesfalls der Vertreter des Staates Israel, sondern der Interessen der Schweizer Juden.

Gemäss Lyssy sind diese sehr stark von einer negativen Berichterstattug über Israel betroffen. Der SIG werde oft verantwortlich gemacht für die Ereignisse in Israel. Zudem beobachte er vermehrt eine schleichende Vermischung von anti-israelischer Berichterstattung mit anti-semitischem Hintergrund.

Der SIG werde diesen Tendenzen mit Fakten begegnen. Das Forum wolle den Medien aber auch partnerschaftliche aktiv Informationen vermitteln und könne deshalb auch als Informationsdrehscheibe verstanden werden.

Das Forum soll im Laufe des Sommers installiert werden. Dessen Präsidium wird der Basler Theologieprofessor Ekkehard Stegemann. Die Geschäftsstelle werde durch Journalisten besetzt.

In der gegenwärtigen Debatte um Israel werden antisemitische Vorurteile wach

Gerade in der gegenwärtig angeheizten Debatte über den Nahostkonflikt wird deutlich, dass der Antisemitismus in Europa – auch in der Schweiz – längst nicht der Vergangenheit angehört. Es gibt ihn auch in Kirchen und linken Parteien. Eine Analyse von Nico Rubeli.

Zur Zeit herrscht in der Presselandschaft der Schweiz in Bezug auf Israel ein bemerkenswertes Hyperventilieren. Die Sprache wird emotionalisiert und eskaliert in Bitten, Aufrufen und Empörung. Aus meiner Sicht sind es vor allem drei Ebenen, die zu dieser hitzigen Diskussion in Bezug auf Israel führen.

Juden in der Opferrolle

Seit Jahrhunderten werden Juden von Christen in fremdbestimmte Rollen gedrückt. Juden dienten als "leidendes und umherirrendes Gottesvolk" dem christlichen Weltbild. Und Christen verfolgten, beraubten und ermordeten Juden. Die Rolle, bitte schön zu leiden, war ein Angebot der Christen gewesen, das Juden heute ablehnen und auch – dank Israel – seit 54 Jahren die Kraft haben, abzuwehren – ohne dafür uns Christen fragen zu müssen. Vergessen wir nicht: die fremdbestimmten Rollen, wer Juden zu sein haben, waren und sind immer Bilder christlicher und postchristlicher Gewalt.

Verhängnisvolle Anknüpfung an die Geschichte

Europa hat eine problematische Geschichte mit den Juden. Seit Jahrhunderten und kulminierend im schrecklichsten aller Verbrechen: in der Schoa. Die emotionale Schelte gegen Israel erleichtert die Seele manch eines Europäers, der sich mit der Geschichte schwer tut. Die Vergleiche von Israel mit Nazis oder die Identifizierung israelischer Kultur mit Nazi-Symbolen stellen deutliche Beweise dieser kulturellen und gedanklichen Problematik dar. Die religiöse Selbstdefinierung christlicher Kultur oder christlichen Glaubens rekurriert oft antijüdisch auf "Jüdisches" oder "Israelisches". Die Philosophen Horkheimer und Adorno haben dies 1944 in New York in ihrem Buch "Dialektik der Aufklärung" schon scharf gesehen. Wenn Christen den Opfertod Jesu nicht plausibel denken oder glauben mögen, so beginnen sie, diesen notorisch neu nach aussen zu richten: als Gewalt gegen Juden.

Ausklammern regionaler Zusammenhänge

Zu diesen Kategorien fügt sich eine weitere Dimension hinzu: die wesentlichen Zusammenhänge der gegenwärtigen Situation kommen nicht zur Sprache. Die Vorgänge im Nahen Osten, die Rollen Europas und der USA, sind jedoch nicht zu verstehen, wenn nicht all die beteiligten Kräfte zur Kenntnis genommen werden: Dazu gehören Interaktionen mit dem Irak und Iran, das Umgehen der Region mit dem kurdischen Volk, die Rollen der Türkei, Syriens, Saudiarabiens und der anderen Akteure in der Umgebung, die militärisch, politisch, geheimdienstlich und wirtschaftlich an der gegenwärtigen Situation mitarbeiten. Im Blick auf die aktuelle Lage in den Palästinensergebieten wird höchst inkonsequent argumentiert. Da regten sich Menschen in der Schweiz auf, als Arafat aufgerufen wurde, Attentäter auszuliefern, er sei doch zu schwach dazu.

Und wenn Arafat dies innert Stunden möglich macht, da wird daran in den Kommentaren hierzulande kaum mehr erinnert. Dass in christlichen Kirchen Sprengstoff benutzt wurde und in UNO-Distrikten Labors für Sprengwaffen gefunden wurden, wird von vielen nicht als humanitäres Problem empfunden – wiederum eine politisch und ethisch bemerkenswert verzerrte Optik. Selbstverständlich verüben auch israelische Truppen gewalttätige Kriegshandlungen. Als Demokratie wird Israel Verbrechen, die in den eigenen Reihen begangen wurden, – wie schon früher – nach rechtsstaatlichen Grundsätzen anklagen und Schuldige richten. Weshalb aber arabische Bruderstaaten die palästinensischen Flüchtlinge und ihre Kinder als Schilde des Hasses gegen Israel missbraucht haben, diese offenen Wunden müssen vor Ort eine praktische Antwort erhalten.

Nun aber zurück zu uns: Zurzeit werden in der Schweiz Juden und Jüdinnen mit Worten und Taten angegriffen. In Europa werden nicht nur jüdische Friedhöfe geschändet, was nie aufgehört hat, sondern es brennen wieder Synagogen. Dass der Boykottaufruf gegen Produkte aus Israel geistlichen Sukkurs erhält, beunruhigt mich. Als vor einiger Zeit Rechtspolitiker sagten: "Kauft nicht bei Juden", waren wir empört. Mich verletzen solche Aufrufe noch mehr, wenn sie von linken Parteien oder sogar von Kirchen kommen. Ich hoffe, dass die evangelische Anleitung zu antijüdischer Gewalt des Reformators Martin Luther "Von den Juden und ihren Lügen" (1543) nicht ein neues Revival erhalten wird: denn dann kann Juden nur noch das helfen, was ein englischer Professor vorausgesagt hat: dass Juden Europa à la longue verlassen werden. Ich würde es verstehen, aber zutiefst bedauern. Denn ohne Juden wäre Europa nicht mehr Europa, sondern etwas anderes, womit ich mich nicht mehr identifizieren könnte.

Der Autor Nico Rubeli ist evang.-ref. Pfarrer, Projektleiter der Christlich-Jüdischen Projekte (CJP), Leiter der CJA Schweiz und Geschäftsführer der CJA Basel.

”Armer Arafat, böser Sharon” - Medien berichten pro-palästinensisch

Die internationale Berichterstattung hat sich zunehmend der palästinensischen Perspektive zugewandt, der Ton gegenüber Israel ist seit dem 11 September eindeutig schärfer geworden - das ergab in der Tageszeitung „Die Welt“ (Berlin) veröffentlichte Studie.

Der Branchendienst Medientenor untersuchte mehr als 2.100 Fernsehberichte in 17 internationalen Nachrichtensendungen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Vorgehen der israelischen Regierung immer öfter mit den Taktiken der Nazis verglichen wird, Bilder von israelischen Panzern und brennenden palästinensischen Häusern im Vordergrund stehen und Hintergrundinformationen zu kurz kommen.

33 Prozent der in den Berichten auftretenden Palästinenser werden als „Schuldige“ bezeichnet, 2001 waren es noch 50 Prozent. Von den Israelis sind mittlerweile 45 Prozent die „Schuldigen“, im Vorjahr waren es 30 Prozent.

Angesichts der Berichterstattung verwundere es auch nicht, dass in immer mehr Ländern die Meinung vom „bösen Sharon“ und „armen Arafat“ vertreten wird. In Frankreich, England und Italien unterstütze eine starke Mehrheit der Bevölkerung den „Standpunkt Palästinas“, heisst es in dem Bericht. Laut einer Umfrage der „International Herald Tribune“ sind 67 Prozent der Deutschen für die Palästinenser.

Wadim Schreiner, verantwortlich für die Studie von Medientenor, bezeichnete diese Entwicklung in der Berichterstattung als „dramatisch“. Der Konflikt zwischen Juden und Arabern werde durch ein Bild, ein Gefühl, einen O-Ton nur unzureichend dargestellt, so Schreiner.

Die Welt

Die bösen Medien und ihre Opfer

„Ihr Journalisten seid schuld daran, dass die ganze Welt gegen uns ist!“ Verärgert dreht mir der Israeli den Rücken zu. - „Dir sage ich nichts mehr!“ Weil ich nicht zu allem Ja und Amen sage, was mein palästinensischer Freund mir erklärt, kündigt er mir die Zusammenarbeit auf. Es gibt kaum etwas, über das in Nahost nicht gestritten wird. Selbst der Strassenverkehr, ein Elternabend in der Schule oder die Diskussion über die angemessene Bezahlung eines Handwerkers gleichen oft eher einem Krieg als einer friedlichen Koexistenz. Nur an einer Stelle sind sich alle einig: Die Medien sind schuld!

Palästinenser beklagen sich, dass westliche Journalisten kein Verständnis für ihr Los zeigen, die Kriegführung und Besatzung „der Juden“ verharmlosen und damit eine entscheidende Mitverantwortung an ihrer Misere tragen. Israelis sehen sich mit dem Rücken zur Wand einer hasserfüllten arabischen Welt gegenüber. Nach Jahrzehnten des Terrors fühlen sie sich allein gelassen und unverstanden - wie schon so oft in der Jahrhunderte alten Geschichte des Antisemitismus.

Eines sollte unmissverständlich klar sein: Für (auch nur latenten) Antisemitismus in den Medien, für verzerrende und einseitige Darstellungen gibt es keine Entschuldigung. Wenn Journalisten unprofessionell arbeiten, sollte das beim Namen genannt, nachgewiesen und angeprangert werden. Aber es gibt noch eine ganze Reihe anderer Gründe dafür, dass die öffentliche Meinung einseitig und der Situation vor Ort unangemessen ausfallen kann. Nicht nur die Situation im Heiligen Land, sondern auch das Mediengeschehen ist höchst kompliziert.

Das Abendland ist christlich geprägt. Allenthalben ist klar: Gott hat das Schwache erwählt. Wenn wir dann Bilder von Kindern sehen, die sich Panzern entgegenstellen, steht ohne langes Nachdenken fest, wer im Recht ist. Entscheidend und für die weitere Beobachtung prägend ist der erste Eindruck - nicht das mühsame Forschen um komplizierte Zusammenhänge oder gar die Überlegung, ob eine biblische Grundaussage unreflektiert auf jede beliebige Situation anwendbar ist.

„Sie hatten nichts anderes im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören.“ So charakterisierte Paulus vor zweitausend Jahren das Interesse der Athener (Apostelgeschichte 17,21). Das Neue, Nie-Dagewesene und Spektakuläre macht die Medien zu einer Macht. Geschichtliche Zusammenhänge sind schwer zu verstehen und langwierig zu erklären. Wen interessiert heute schon, warum Israel „die Westbank“ besetzt hat und in den vergangenen drei Jahrzehnten besetzt hielt? „Aktualität“ hat höchste Priorität. Kalter Kaffee von Gestern verlockt keinen - was oft dazu führt, dass Ursache und Wirkung verkehrt werden.

„Das wollen unsere Leser nicht!“ ist einer der häufigsten Sätze, den man als Korrespondent von Redakteuren in der Heimat zu hören bekommt. Medien sind keine Einbahnstrasse sondern unterliegen dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Darin liegt eine grosse Gefahr. Verkaufen lässt sich nur das Aussergewöhnliche, die Bilder von Kämpfen und Zerstörungen. Dass Touristen auch heute noch zwei Wochen in Israel unterwegs sein können, ohne etwas vom Kampfgeschehen mitzubekommen, ist für die Berichterstattung uninteressant. Und wenn die Leser nur an der Sicht der Gleichgesinnten interessiert sind, zum Beispiel messianischer Juden und palästinensischer Christen, dann muss ein Zerrbild entstehen. Denn beide Gruppen sind eine verschwindend kleine Komponente in ihrer Gesellschaft und haben praktisch keinen Einfluss auf das politische Geschehen.

Im Zusammenspiel zwischen Lesern und Schreibern liegt aber auch eine grosse Chance. Leserbriefe und Hörerreaktionen werden von allen Redaktionen ernstgenommen. Kein Medium kann existieren ohne seine Medienkonsumenten. Das Geld für den Druck von Zeitungen und die Gehälter der Journalisten kommt in der Regel direkt oder indirekt von den Lesern. Vielleicht ist es gar nicht überspitzt, zu behaupten, dass der Medienverbraucher das vorgesetzt bekommt, was er von seinem Meinungsmacher (bewusst oder unbewusst) fordert.

Johannes Gerloff

NZZ/idea Schweiz/Die Welt/israelnetz/bg

Datum: 28.05.2002
Quelle: NZZ am Sonntag

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